Langzeitprojekt - Stadtmuseum - Stadtarchiv

Vor 80 Jahren - Sindelfingen im Krieg

Mit dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Wie wirkte sich dieser Krieg im heimischen Lebensraum aus?
Welche Spuren hat er in Sindelfingen hinterlassen? War er von Anfang an zu spüren?
In der Reihe "Vor 80 Jahren - Sindelfingen im Krieg" stellen wir monatlich ein Objekt oder ein Thema in den Mittelpunkt, das 80 Jahre zuvor relevant war.
So entsteht eine Reihe mit 69 Beiträgen, die monatliche Blitzlichter auf die Zeit von September 1939 bis Mai 1945 wirft und das damalige Geschehen auf lokaler Ebene lebendig werden lässt.
Das Stadtmuseum präsentiert monatlich wechselnd eine Sondervitrine zum jeweiligen Thema.

Das Stadtmuseum führt das Projekt auch in Zeiten von Corona fort.
Sollten Sie noch Erinnerungsstücke oder andere Objekte aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs aus Sindelfingen dem Museum zur Verfügung stellen wollen, dann dürfen Sie sich gerne unter 07031 94357 melden.

Projekt „Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg“ des Stadtmuseums und Stadtarchivs Sindelfingen

Februar 2024 – Februar 1944
Die langen Schatten des Krieges. Wie die Luftschutzstollen des Zweiten Weltkriegs Sindelfingen noch Jahrzehnte beschäftigten

Das Projekt "Vor 80 Jahren - Sindelfingen im Krieg" stellt monatlich wechselnd ein Thema oder ein Objekt aus der Zeit vor 80 Jahren im Stadtmuseum in den Mittelpunkt. In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv entsteht auf diese Weise ein Blick in die Vergangenheit, der u.a. die Alltagssituation der Menschen damals in den Blick nimmt. Die Texte sind auch auf der städtischen Homepage nachzulesen.

Die Monatsvitrine zum Thema wird ab Freitag, den 23.02. im Stadtmuseum zu sehen sein.

Bereits vor Kriegsbeginn im September 1939 hatten sich die NS-Machthaber mit dem Thema Luftschutz beschäftigt. Aufgrund von Arbeitskräfte- und Materialknappheit – andere kriegsvorbereitende Bauten wie der sogenannte Westwall hatten Vorrang – waren aber im Herbst 1939 über die vorhandenen Keller hinaus erst wenige Luftschutz-Bauten errichtet worden. Die Situation änderte sich, als im Spätsommer die ersten Luftangriffe auf Berlin erfolgten. Das „Führer-Sofortprogramm“ sah nun den Bau von oberirdischen betonierten Bunkern für die Großstädte im Deutschen Reich vor.
Mit der zunehmenden Luftüberlegenheit wurde das Programm 1943 erweitert. Nun sollten auch in kleineren Städten unterirdische Luftschutzstollen gebaut werden. Die Bauweise war einfach und zur Materialersparnis wurden die Stollengänge zumeist in Holzbauweise ausgeführt. Die Einwohnerschaft der jeweiligen Stadt als auch die Mitarbeiter ansässiger Industriebetriebe wurden zum Bau herangezogen.
Aus einem Schreiben der Stadtverwaltung an das Landratsamt in Böblingen vom 11. Februar 1944 sind wir über den seinerzeitigen Stand des Stollenbaus in Sindelfingen informiert. Es wird berichtet, dass die Firma Daimler-Benz am Goldberg bereits eine große Stollenanlage für ihre Belegschaft zu bauen begonnen hatte. Nach einer Vereinbarung zwischen der Stadt und der Firma sollten dort auch ca. 500 Menschen aus dem südlichen Stadtgebiet Schutz finden können. Darüber hinaus sei mit der Planung einer zweiten Stollenanlage an der Burghalde begonnen worden, die für 1.200-1.500 Menschen aus der Altstadt und dem östlichen Stadtgebiet als Luftschutzraum dienen sollte.
Wie umfangreiche Akten im Stadtarchiv belegen, waren für das eilige Bauvorhaben viele Details zu klären: die Beschaffung des Stollenholzes, die Ablagerung des Erdaushubs, die Abholzung von Obstbäumen samt Entschädigungsregelung, die Anlage von Zugangswegen und anderes mehr. Im März 1945, wenige Wochen vor der Besetzung Sindelfingens durch französische Truppen, wurde zwischen der Stadt und der Firma Daimler-Benz immer noch um einen Nutzungsvertrag für den längst in Betrieb genommenen Goldberg-Stollen verhandelt.
Mit Kriegsende waren die organisatorischen und technischen Probleme mit den Stollenbauten übrigens keineswegs beendet. Die Frage der Entschädigung für die Grundstücksbesitzer hatte zwischen der Firma Daimler-Benz, der Stadt und dem Bund als Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs ein langes juristisches Nachspiel. Eine technische Absicherung wurde immer drängender, nachdem die Stollen an verschiedenen Stellen einzubrechen begannen und es zu Schäden an der darüber liegenden Bebauung kam.
Vielleicht kann sich noch jemand außer mir erinnern, dass sich auf dem Gelände des Goldberggymnasiums im Sommer des Jahres 1972 plötzlich ein Loch auftat – verursacht durch einen eingebrochenen Stollenabschnitt.
Schließlich wurden die noch vorhandenen Hohlräume kurz darauf von oben angebohrt und verfüllt. Zugänglich waren die Stolleneingänge bereits seit Kriegsende nicht mehr. Heute zeugen noch einige Geländemulden, z.B. gegenüber dem Wasserspielplatz im Sommerhofenpark, von den ehemaligen Eingängen.
 
(Text: Horst Zecha)

Plan „Luftschutzstollen Herrenwald“ vom Oktober 1944, Stadtarchiv Sindelfingen
Plan „Luftschutzstollen Herrenwald“ vom Oktober 1944, Stadtarchiv Sindelfingen

Archiv

Januar 2024 – Januar 1944 „Feind hört mit“

Beim Durchblättern der NS-Kreiszeitung vom Januar 1944 fallen Abbildungen von schemenhaften Schattenmännern mit Hut auf. Das erste Mal ist die Figur am 15. Januar 1944 in Zusammenhang mit einem Artikel über Roosevelt und Stalin abgebildet. Ohne weitere Erklärung aber mit einem Fragezeichen versehen, erscheint die Grafik sehr mysteriös. Der Leserschaft der Zeitung zeigt sich drei Tage später erneut dieselbe Figur, diesmal mit dem Zusatz „Feind hört mit!“

Erst am 25. Januar 1944 wird die neue Propagandaaktion des Deutschen Propaganda-Ateliers erläutert. „Der schwarze Mann: Feind hört mit! Viele tausende schwarze Männer sind seit einiger Zeit an Bretterzäunen, auf Schaufenstern, an Postautos,… an Anschlagtafeln und in den Zeitungen zu sehen. Jedem von uns sind sie aufgefallen. Sie sollen uns auch auffallen! Der Gegner lässt nichts unversucht, um Feststellungen über unsere Rüstung zu machen. Er sammelt Nachrichten, meistens unzählige winzige Nachrichten die an und für sich nichts bedeuten, die aber zusammengetragen lauter Steinchen für das Mosaikbild bilden, das er für seine Zwecke benötigt…Die tausend unscheinbaren und belanglosen Neuigkeiten…die straßauf und straßab weitergegeben werden, sind es, die dem Feind so nützlich sind…Jeder von uns hört täglich Schwätzereien mit an…Solche Redereien geschehen…aus Gedankenlosigkeit und Vertrauensseligkeit, aus Leichtsinn und Dummheit. Das soll und muß jetzt anders werden. Daran erinnern uns die schwarzen Männer…Immer sollen wir daran denken: Der Feind hört mit!... Es ist ein Feind, der uns wie ein Schatten verfolgt…“

Das Deutsche Propaganda-Atelier war Teil des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) unter Joseph Goebbels. Als Reaktion auf den verlorenen Ersten Weltkrieg war dem NS-Regime die Bedeutung der Propaganda als wichtiges militärisches Instrument sehr bewusst und man erkannte hier Nachholbedarf gegenüber den damals siegreichen Nationen. Bereits ab 1933 arbeitete das RMVP mit der Wehrmacht zusammen. 1938 wurden Propagandaeinheiten innerhalb der Wehrmacht gegründet, dabei hatten die NS-Organisationen erheblichen Anteil an der inhaltlichen Ausrichtung der Propagandakompanien.

Die Schattenmann-Kampagne war ein sehr eindrucksvoller Teil der psychologischen Kriegsführung und sollte die Menschen sowohl ermahnen, ihre Pflicht an der „Heimatfront“ zu erfüllen, sie aber auch vor Landesverrat und Spionage warnen. Bereits kritische Äußerungen zum propagierten „Endsieg“ konnten schwer bestraft werden. Auf Landesverrat stand die Todesstrafe. Dass diese auch vollstreckt wurde, erfuhr die Leserschaft ebenso in der NS-Kreiszeitung. Das Schweigen wurde nun zur wichtigsten Pflicht der Deutschen.
 
(Text Illja Widmann)

Anzeige in der NS-Kreiszeitung vom 18. Januar 1944, Stadtarchiv Sindelfingen

Dezember 1943 – Dezember 2023 "Weihnachtsgeschenk des unbekannten Vaters"

„Meine früheste Kindheitserinnerung geht in das Kriegsjahr 1943 zurück. Ich war gerade vier Jahre alt geworden. Dass es einen Vater gab, wusste ich nur vom Hörensagen.“ - So erzählt es Gudrun Blank, die in der Sindelfinger Altstadt mit ihrer Schwester aufgewachsen ist. Der Vater war im Alltag der Vierjährigen damals nicht präsent, bis zum Heiligabend 1943.
 
Das Weihnachtsfest erlebten die Menschen in diesem fünften Kriegswinter auch in Sindelfingen in bedrückter Stimmung. Im Oktober ging über dem Kreis Böblingen ein massiver Bombenangriff nieder, der in Sindelfingen und Umgebung für Opfer sorgte. So kam der Krieg immer bedrohlicher näher. Die Familien bemühten sich um eine besondere Gestaltung der Weihnachtsfeier. „Meine Mutter…glaubte an den Erlöser und sie tat alles, um die feierliche Adventsstimmung auch uns Kindern zu vermitteln.“ Die Feier der Familie Blank fand in Stuttgart bei den Großeltern statt, im Wohnzimmer stand ein geschmückter Weihnachtsbaum, der von Kerzen erleuchtet wurde. Unter dem Baum lag ein Paket, das der Vater aus Russland geschickt hatte. Zum Vorschein kamen selbst geschnitzte Möbel für die Puppenstube, von denen ein Tisch und vier Stühle noch erhalten sind. „Der Papa, den gab es also wirklich und er schien sogar sehr nett zu sein.“ Das Weihnachtsfest 1943 wurde zu einem besonderen Erlebnis für Gudrun Blank. Den Vater selbst konnte sie erst viele Jahre später kennenlernen, als er nach mehrjähriger Kriegsgefangenschaft aus Russland zurückkehrte.
 
Wir erfahren aus dieser persönlichen Geschichte verschiedene interessante Aspekte. So zeigt es sich zum einen, dass die Bemühungen um eine funktionierende Feldpost 1943 noch recht erfolgreich waren. Sie galt als wichtige Verbindung zur Familie und sollte so die Unterstützung an der „Heimatfront“ stärken. Zudem spiegelte eine stabile Postverbindung die Kontrolle über die Infrastruktur auch in weit entfernten besetzten Gebieten vor.
 
Das beschriebene Weihnachtsfest in der Familie Blank zeigt zum anderen eine starke Verwurzelung in der christlichen Tradition. Die nationalsozialistische Propaganda bemühte sich von Beginn an, um eine Umdeutung des Festes. So wurde auf angebliche germanische Wurzeln verwiesen und der Weihnachtsbaum wurde zum „Lichterbaum“, der Adventskranz zum „Lichterkranz“, die Adventszeit zur „Vorweihnachtszeit“. Nur die Bezeichnung „Weihnachten“ wurde beibehalten, da sie in der Bevölkerung zu stark verankert war.
 
In der NS-Kreiszeitung wird im Dezember 1943 über Weihnachtsfeiern in Kindergärten und Schulen berichtet. Hier ist klar zu erkennen, wie stark die Kinder schon in jungen Jahren in die Propaganda eingebunden waren. Die Feiern fanden meist in Anwesenheit der für die Kindergärten zuständigen Parteigenossen statt. Die Kinder „zündeten die Kerzen…an zum Gedenken an die Mütter, die Soldaten, die Bombengeschädigten und den Führer.“ Dann verteilte „der Weihnachtsmann und seine Zwerge leckere Sachen“. Bereits Anfang Dezember 1943 fand in Sindelfingen eine Tagung für die „Kindergärtnerinnen des Kreises statt“. Ihnen wurde dargelegt, wie die „Lebenslauffeiern und Jahreslauffeiern“ ganz im Sinne des Nationalsozialismus im Kindergarten begangen werden sollten. Wichtig war zudem die Abgrenzung zur Kirche, indem der private Aspekt der Feier betont wurde: „Wenn aber Weihnachten das Hochfest im Jahreslauf des deutschen Menschen ist, so muß die Vorweihnachtszeit Einstimmung und Bereitmachung zur Feier sein, zur Feier, die mit Lichterbaum und Bescherung nur in die Familie gehört.“
 
(Text Illja Widmann)

Puppenstubenmöbel, die von Siegfried Blank in Russland als Weihnachtsgeschenk 1943 für die Tochter geschnitzt wurden

November 1943 – November 2023 "Kriegsberufswettkampf 1943/44"

November 1943 – November 2023 "Kriegsberufswettkampf 1943/44"

„Euer Einsatz als Beweis für den Glauben an den Sieg“, so lautete der Aufruf Adolf Hitlers an die „schaffende Jugend“ in der NS-Kreiszeitung vom 1. November 1943. Für Januar und Februar 1944 wurde ein sogenannter „Kriegsberufswettkampf“ ausgerufen, an dem sich junge Frauen und Männer in Ausbildung beteiligen sollten.
 
Bereits 1934 bis 1939 fanden unter dem Namen „Reichsberufswettkampf“ zentrale berufliche Leistungswettbewerbe statt, die von der Hitlerjugend (HJ) und der Deutschen Arbeitsfront (DAF) durchgeführt wurden. Dabei standen vier Themenkomplexe im Mittelpunkt: Berufliche Praxis, berufliche Theorie, weltanschauliche Schulung und für Mädchen das Thema Hauswirtschaft. In der Sammlung des Stadtmuseums befinden sich Urkunden und Bewertungsbögen der Weberin Ursula Sebek, die in der hiesigen Webschule ihre Ausbildung machte. Sie nahm 1937 und 1938 jeweils erfolgreich am „Reichsberufswettkampf“ teil. Die Urkunden wurden am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, öffentlich überreicht. Adolf Hitler wird in der Urkunde 1938 wie folgt zitiert: „Es muß unser Ziel sein, den hochwertigen deutschen Arbeiter immer mehr von der primitiven Arbeit wegzuziehen und einer hochwertigen Tätigkeit zuzuführen.“
 
Dieser Aspekt spielt tatsächlich eine wichtige Rolle, als nach einer Pause von vier Jahren Ende 1943 der neue „Kriegsberufswettkampf“ öffentlich bekannt gemacht wurde. Nach dem Kriegsverlauf 1943 und der verheerenden Niederlage bei Stalingrad trat die Reichsjugendführung verstärkt an die Jugend heran.
Der Lehrling an der Heimatfront wurde propagandistisch dem Soldaten an der Front gleichgestellt und an dessen Pflichtgefühl und „kämpferische Ehre“ appelliert. Die Betriebe hingegen sahen sich dem Problem ausgesetzt, dass ihnen zu wenig Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Daher wurden viele Lehrlinge schon früh in der Produktion eingesetzt und brachen ihre Ausbildung ab.
 
Der „Kriegsberufswettkampf“ diente sowohl zur Disziplinierung der Jugendlichen, die in der Ausbildung ihre „soldatische Pflicht“ zu erfüllen hatten, aber auch zur Kontrolle der Betriebe. Die Reichsjugendführung zielte mit dem Wettkampf ebenso darauf ab, „…diejenigen auszulesen, die für Führungsaufgaben im Arbeitsleben geeignet sind.“ So ist es in der NS-Kreiszeitung vom 2. November nachzulesen. Zu den Führungsaufgaben zählte auch die Tätigkeit als Vorarbeiter, der die Arbeit der Zwangsarbeiter überwachen sollte. 
 
Weitere Ziele des „Kriegsberufswettkampfs“ sind „…Steigerung des Leistungswillens,…Hinführung zu einwandfreiem Arbeitsverhalten.“ Offenbar gab es hier Anlass zu Klagen. 
Die Bewertung erfolgte in drei Stufen „Überdurchschnitt – Durchschnitt – Unterdurchschnitt“. Als Ziel wurde ausgegeben, bei 2 Millionen Teilnehmern ca. 50.000 bis 60.000 „Überdurchschnittliche“ zu ermitteln, die dann in „Reichsausleselagern“ eine weitere Förderung erhalten sollten. Die Realität sah jedoch etwas anders aus. Von 2,5 Millionen Teilnehmern gab es nur 373 Sieger auf Reichsebene. Ein weiterer „Kriegsberufswettkampf“ fand nicht mehr statt.
 
(Text Illja Widmann)

Oktober 1943 – Oktober 2023 "Zwangsarbeiter sind die ersten Sindelfinger Luftkriegsopfer"

Oktober 1943 – Oktober 2023 "Zwangsarbeiter sind die ersten Sindelfinger Luftkriegsopfer"

Die Nacht vom 7. auf den 8. Oktober 1943 ist im Landkreis Böblingen als schlimmste Bombennacht des Zweiten Weltkriegs auch heute noch im kollektiven Gedächtnis. Bei einem Nachtangriff, der Stuttgart galt, wurde ein Teil der Abwürfe fehlgeleitet und die Bomben gingen über zahlreichen Kreisgemeinden nieder, insbesondere über der Kreisstadt Böblingen. Viele Tote waren zu beklagen, die Zerstörung war immens.
 
Auch in Sindelfingen waren in jener Nacht die ersten Luftangriffs-Opfer zu beklagen. Es ist eine bittere Ironie des Schicksals, dass es 16 holländische und französische Zwangsarbeiter waren, die einem englischen Bombenangriff zum Opfer fielen, der überhaupt nicht das Sindelfinger Daimler-Benz-Werk zum Ziel hatte.
 
Mit zunehmender Kriegsdauer erhöhte sich der Anteil ausländischer Zwangsarbeiter an der Belegschaft des Sindelfinger Daimler-Werks stetig und erreichte im Herbst 1943 mit über 2.000 Personen seinen Höchststand. Entsprechend der nationalsozialistischen Rassenideologie unterschied man streng zwischen sogenannten „Ostarbeitern“ – überwiegend aus der damaligen Sowjetunion – und sogenannten „Westarbeitern“. Die Behandlung und Ernährung dieser Personengruppen wiesen große Unterschiede auf.
 
Bereits 1942 hatte Daimler-Benz die Planungen für ein großes „Westarbeiterlager“ aufgenommen, in dem etwa 1.000 Zwangsarbeiter aus Frankreich und den Niederlanden untergebracht werden sollten. Solche Lager mussten einen gewissen Abstand zum jeweiligen Werksgelände aufweisen, um bei Luftangriffen möglichst nicht mitbombardiert zu werden – was übrigens weniger humanitären Überlegungen entsprang, sondern damit zu tun hatte, dass man die wertvollen Arbeitskräfte nicht verlieren wollte.
 
In Sindelfingen gestaltete sich die Platzsuche schwierig und der letztendlich gefundene Bauplatz bei der ehemaligen Riedmühle (heute innerhalb des Werksgeländes) entsprach nicht den Abstandsvorgaben. Angesichts der Dringlichkeit der Unterbringung stellte das Luftgaukommando im Herbst 1942 aber schließlich seine Bedenken zurück, die Bauarbeiten konnten beginnen und im Mai 1943 abgeschlossen werden. Ein ehemaliger holländischer Zwangsarbeiter gibt einen Einblick in die Verhältnisse im Lager: „Wir Westarbeiter waren größtenteils im Lager Riedmühle untergebracht. Als wir im Mai 1943 dort ankamen, roch es noch nach frischem Holz – das Lager war ja gerade erst fertig geworden. Jede Baracke bestand aus zwei Räumen, und in jedem Raum standen rechts und links jeweils sechs Doppelstockbetten. Jeder Raum war also von 24, jede Baracke von 48 Personen bewohnt. Es gab in jedem Raum einen Ofen, auf dem wir auch gekocht haben.“
 
Bei Luftangriffen sollten die Arbeiter in Deckungsgräben in der Umgebung der Wohnbaracken Schutz suchen. Dies gelang in der Nacht vom 7. auf den 8. Oktober 1943, als Teile des Lagers durch Bomben zerstört wurden, nicht mehr allen Bewohnern. Die 16 ums Leben gekommenen jungen Männer aus Frankreich und den Niederlanden wurden am Rande des Alten Friedhofs beigesetzt. Nach dem Krieg wurden ihre sterblichen Überreste in die Heimat überführt. Während das Lager schnellstmöglich wieder aufgebaut wurde, fanden die Arbeiter zunächst zum Teil in Werkshallen und anderen Unterkünften eine vorläufige Bleibe. Bei gezielten Angriffen auf das Sindelfinger Werk wurde das Riedmühle-Lager im September 1944 endgültig zerstört – wieder gab es Tote unter den Zwangsarbeitern.
 
(Text: Horst Zecha)

„Westarbeiterlager“ bei der Riedmühle, Mercedes-Benz-Archiv
Reihengräber der „Westarbeiter“. Beisetzung nach der Bombardierung vom 8. Oktober 1943, Mercedes-Benz-Archiv

September 1943 – September 2023 „Kraft durch Freude“ im Städtischen Saalbau

Eine unscheinbare Eintrittskarte erzählt uns, dass am Sonntag, 12. September 1943 in der Festhalle Sindelfingen eine Betriebsveranstaltung des Daimler-Benz-Werks unter dem eigenwilligen Titel „Gemeinsame Arbeit – Gemeinsame Freude“ stattfand. Vermutlich hat es im Werk selbst keine geeignete Räumlichkeit für diese Großveranstaltung gegeben. Immerhin konnten im sogenannten Städtischen Saalbau, der 1925 als erste Sindelfinger Veranstaltungshalle gebaut worden war, gut 1.000 Menschen Platz finden. Vielleicht sollte aber auch mit der Wahl des Veranstaltungsortes die Verbundenheit von Werk und Stadt gerade in der Kriegszeit betont werden.
 
In einem Bericht in der NS-Kreiszeitung vom 13. September wurde ausführlich über die Veranstaltung berichtet und besonders deren fröhlicher und unbeschwerter Charakter hervorgehoben. Von akrobatischen und humoristischen Darbietungen, die „wahre Stürme der Begeisterung und Freude auslösten“ war die Rede. Das alles diente laut Berichterstatter dazu, „die Betriebskameradschaft zu erneuern und zu stärken.“ Spätestens an solchen Formulierungen wird deutlich, dass auch diese Veranstaltung Teil der nationalsozialistischen Propagandamaschinerie war.
 
Organisiert war die Veranstaltung von der NS-Organisation „Kraft durch Freude“, einer Unterabteilung der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF). Die DAF war nach der Zerschlagung der freien Gewerkschaften bereits im Mai 1933 gegründet worden. In ihr waren sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber organisiert, was den Eindruck einer klassenübergreifenden „Volksgemeinschaft“ erwecken sollte, letztendlich aber der Kontrolle und ideologischen Beeinflussung der gesamten Wirtschaft diente. 1942 war die DAF mit rund 25 Millionen Mitgliedern die größte Massenorganisation im Deutschen Reich. Gleichzeitig agierte die DAF auch als Wirtschaftsunternehmen, da sie nach der Beschlagnahme der gewerkschaftlichen Vermögen 1933 mit beträchtlichen finanziellen Mitteln ausgestattet war.
 
Als Unterabteilung der DAF wurde im November 1933 die Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) gegründet. Mit Angeboten im Sport- und Freizeitbereich sollten v.a. Arbeitern und ihren Familien ein positives Bild des NS-Staates vermittelt werden. Zugleich ermöglichten gemeinsame Schiffsfahrten und große Gemeinschafts-Ferienanlagen die propagandistische Beeinflussung der Menschen auch in ihrer Freizeit. Die gigantische, nie vollendete und heute noch in Teilen erhaltene Ferienanlage „Prora“ auf Rügen, die für 20.000 Menschen Gemeinschaftsurlaube ermöglichen sollte, zeigt überdeutlich den ideologischen Ansatz, der sich hinter der fröhlichen Fassade verbarg.
Mit Kriegsbeginn endeten die Aktivitäten der KdF-Organisation im Bereich der Urlaubs- und Freizeitgestaltung, die Urlaubsschiffe wurden zu Lazaretten und Truppentransportern umgebaut und die Aufgaben der Organisation verlagerten sich auf Truppenbetreuung, oder wie im Falle der Sindelfinger Veranstaltung, auf die Erhaltung der Moral in der kriegswichtigen Wirtschaft.
 
Dass sich, wie im Zeitungsartikel beschrieben, „die ganze Gefolgschaft des Werkes Sindelfingen mit der Betriebsführung“ in der Festhalle zusammenfand, darf übrigens mehr als bezweifelt werden. Im September 1943 arbeiteten über 7.000 Menschen im Sindelfinger Werk, davon über 2.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, überwiegend aus der Sowjetunion. Sie waren sicher keine Gäste der Veranstaltung und hätten das Motto „Gemeinsame Arbeit – Gemeinsame Freude“ nur als zynisch empfinden können.
 
(Text: Horst Zecha)

Eintrittskarte, 12.09.1943, Stadtmuseum Sindelfingen

August 1943 – August 2023 Schuhsohlen aus Holz und Stroh – Auswirkungen der Kriegswirtschaft

Wie angespannt sich die wirtschaftliche Situation im vierten Kriegsjahr in Deutschland gestaltete, zeigen umfangreiche Sammelaktionen. Die Versorgung der Bevölkerung über Lebensmittelkarten, Kleidermarken und vielem mehr galt bereits kurz vor Beginn des Krieges. Seit Herbst 1941 war es der hiesigen Landwirtschaft nicht mehr möglich, die Versorgung zu gewährleisten.
 
Ein Beispiel für die Mangelwirtschaft findet sich im Bestand des Sindelfinger Stadtmuseums. Dabei handelt es sich um Schuhsohlen aus Stroh und Holz. Im Rahmen der Zuteilungen standen der Bevölkerung für den „Normalbestand“ meist nur zwei Paar Straßenschuhe zu. Diese gab es im Austausch für defekte Schuhe, die nicht mehr tragbar waren. Die Anordnung 101 der Reichsstelle für Lederwirtschaft vom 30. Juni 1941 listet das Sohlenmaterial auf, das ohne Bezugsscheine abgegeben werden darf: Kautschuk und Asbest aus alten Autoreifen oder alten Transportbändern. „Holzsohlen gelten nicht als Sohlenmaterial“. Alternativ wurde Stroh als Sohlenmaterial verwendet.
 
Im Sommer 1943 finden sich vermehrt Aufrufe, die auf den verantwortungsvollen Gebrauch von wiederverwendbaren Materialien hinweisen. So gab es in Sindelfingen im Juni 1943 eine landesweite Sammlung von Textilien, aus denen sich neues Garn spinnen ließ und von Schuhen. Aus dem Hinweisblatt dazu: „Der totale Krieg verlangt gebieterisch den Einsatz dieser ungenutzten Altstoffe als Rohstoffe. Deshalb soll jede Hausfrau sofort alles Überzählige an Spinnstoffen und Schuhwerk aussortieren und abgeben.“
Der NS-Kurier vom 1. März 1943 ermahnt die Bevölkerung ebenfalls in diesem Sinne: „Der totale Krieg erfordert eine einfache Lebenshaltung und eine schlichte Kleidergestaltung.“ Im August 1943 folgte in derselben Zeitung eine Reklame für Schuhe aus Stroh und Sperrholz. Schuhpflegemittel durfte nur noch gegen Rückgabe von leeren Verpackungen abgegeben werden.
 
Am 28. Juli 1943 erhielt die Stadt Sindelfingen „Bezugsscheinkontingente für Schuhe für das III. Vierteljahr 1943“. Es handelte sich um insgesamt 368 Bezugsscheine für Kinder und Erwachsene. Davon mussten jedoch noch Rücklagen gebildet werden, so dass nur ein Teil der Bezugsscheine ausgegeben wurde. In den vorangegangenen Kriegsjahren wurden teils pro Monat doppelt so viel Bezugsscheine ausgegeben. In der Stadt lebten damals ca. 9.000 Personen.
 
Bereits im September 1943 war die Versorgungssituation auch bei Schuhen sehr kritisch. Daher sollten „Fliegergeschädigte“ vorrangig Bezugsscheine erhalten. Auf Anfrage des Landratsamts teilte Sindelfingen mit, dass hier 18 Erwachsene und sechs Kinder zu den Fliegergeschädigten zählten…“Als Notbedarf des Fliegergeschädigten,…wird angesehen:…1 Paar Straßenschuhe…1 Paar Hausschuhe…1 Paar Arbeitsschuhe“ für Berufstätige.
 
Zur Entspannung der wirtschaftlichen Lage wurden durch das NS-Regime auch Tauschgeschäfte gefördert, so durften Waren, die nicht mehr benötigt wurden, an andere Personen abgegeben werden. In Stuttgart gab es ab August 1943 eine Tauschzentrale, die amtlich gebilligt wurde. Zugleich war der Warentausch mit rationierten Waren eigentlich verboten. Die Grenzen des Erlaubten waren hier fließend und wurden von der Bevölkerung notgedrungen ausgereizt – immer wieder kam es deshalb auch zu Anklagen und Verurteilungen.

(Text: Illja Widmann)

Schuhsohlen aus Stroh und Holz, Stadtmuseum Sindelfingen

Juli 1943 – Juli 2023 Kriegswirklichkeit und Durchhalteparolen

Juli 1943 – Juli 2023 Kriegswirklichkeit und Durchhalteparolen

Gemeinhin wird die Niederlage der deutschen Armee in Stalingrad Anfang 1943 als Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs angesehen. Von da an befanden sich die deutschen Streitkräfte überwiegend in der Defensive und den Kriegsgegnern gelang es, verlorenes Gebiet nach und nach zurückzuerobern. Gleichzeitig begann auch die Siegeszuversicht unter den Soldaten und der Zivilbevölkerung zu bröckeln. Die Luftangriffe der Alliierten brachten den Krieg zunehmend in die eigene Lebenswelt.
 
Eine Zusammenschau verschiedener Quellen, die uns für den Juli 1943 vorliegen, machen deutlich, wie sich dieser Prozess verstetigte und beschleunigte. Selbst in der gleichgeschalteten Presse lässt sich zwischen den Propagandaphrasen der wahre Kriegsverlauf erahnen, wenn von „heldenhaften Abwehrkämpfen“ oder „planmäßiger Verlegung“ von Streitkräften die Rede ist. In den täglichen Berichten von der russischen Front kann anhand der Nennung von Orts- und Flussnamen der Rückzugsweg der deutschen Armee nachgezeichnet werden. Mitte Juli landeten die Alliierten auf Sizilien und lösten damit Ende Juli den Sturz Mussolinis, des engsten Verbündeten Hitlers aus. In der Presse wurde dieses Ereignis als harmloser Regierungswechsel dargestellt.
 
In der Gemeinderatssitzung vom 29. Juli 1943 kündigt Bürgermeister Pfitzer an, dass möglicherweise mit der Aufnahme von 500 „Fliegergeschädigten aus dem Gau Essen“ zu rechnen sei. Hintergrund hierfür war die Luftoffensive, die die Alliierten im Frühjahr 1943 gegen das Ruhrgebiet starteten. Dabei ging es nicht nur um die Zerstörung von
 
Industrieanlagen, sondern auch darum, durch Angriffe auf die Zivilbevölkerung eine Schwächung der deutschen Kampfmoral zu bewirken – was, wie wir heute wissen, misslang.
 
Am 26. und 27. Juli fand ein Großangriff von 600 Bombern auf Essen statt, in dessen Folge es dann vermutlich zu der besprochenen Ankündigung kam, Fliegergeschädigte auch nach Sindelfingen zu bringen. Umgesetzt wurde diese Maßnahme offensichtlich nie, zumal ja die Bedrohungslage durch Luftangriffe auch in unserer Region ständig zunahm. 
Ein sehr persönliches Zeugnis für den wachsenden Zweifel am Sieg ist der Eintrag von Hans Steißlinger vom 2. Juli 1943 in das Rundbuch des Goldberg-Gymnasiums, der damaligen Adolf-Hitler-Oberschule. Dieses Buch hatten Abiturienten des Jahres 1940 als kollektives Tagebuch initiiert, um sich darin gegenseitig ihren weiteren Werdegang und ihre Kriegserlebnisse zu schildern.
 
Während die frühen Einträge von 1941/42 zumeist noch ungebrochene Siegeszuversicht und Kriegsbegeisterung verspüren lassen, werden die späteren Einträge zunehmend nachdenklich. So auch der von Hans Steißlinger, der in sehr poetischen Worten seinen Gemütszustand und seine Wahrnehmung der Entwicklung beschreibt: „Nicht die Hand, das Herz hat gezittert, denn es ist eine schwankende Brücke. Und eben sind einige Pfeiler eingestürzt. Weg, in brodelnde Tiefen. Wie sollte die Brücke noch tragen, wo die Last größer und immer größer, die Stützen aber schwächer und angefressener werden? …in dieser Nacht schien alles zu stürzen und zu brechen. Ja, alles, was wir noch an Glauben und Hoffnung hatten.“ Jenseits der metaphorischen Bilder ein Text von großer Hellsichtigkeit, was die persönliche und militärische Lage anbetrifft.
 
Die Schlussfolgerung, die Fritz Steißlinger aus diesen Zweifeln und der immer bedrohlicheren Lage zieht, zeigt uns allerdings, dass die nationalsozialistische Erziehung dieser Generation und die ununterbrochenen Propaganda ganze Arbeit geleistet hatten:
„Volk, ich will dir treu sein!“ und „Es geht nicht anders und muss sein.“ lauten schließlich seine sowohl an sich selbst als auch an seine Mitschüler gerichteten Durchhalteparolen.

(Text: Horst Zecha)

Bericht in der NS-Kreiszeitung vom 27.7.1943 über den „Regierungswechsel“ in Italien. Stadtarchiv Sindelfingen
Auszug aus dem Gemeinderatsprotokoll vom 29.7.1943. Stadtarchiv Sindelfingen

Juni 1943 - Juni 2023: "Der Heldentod und die Wirklichkeit"

Juni 1943 - Juni 2023: "Der Heldentod und die Wirklichkeit"

(Text: Horst Zecha)
 
Unter dem unscheinbaren Titel „Kriegssterbefälle – Schriftverkehr 1940-1950“ finden sich im Stadtarchiv Sindelfingen erschütternde Dokumente zum Sterben an der Front, das seit 1943 immer dramatischere Ausmaße annahm. Gesammelt sind in diesem Bestand zahlreiche Abschriften der Briefe, die den Angehörigen der Gefallenen durch den Befehlshaber des Truppenteils, dem sie angehört hatten, zugegangen sind. Dem Standesamt dienten diese Abschriften als Bestätigung von Todeszeit und Todesort.
Mehr oder weniger ausführlich wird in diesen Briefen beschrieben, wie die jungen Männer zu Tode kamen. („Während er in der Stellung auf Wache stand, traf ihn ein feindlicher Granatsplitter in den Kopf und ohne noch ein Wort sprechen zu können, war er sofort tot.“) Man darf dabei sicherlich davon ausgehen, dass die Kommandeure versuchten, möglichst tröstende Worte zu finden. So wird in den allermeisten Fällen davon berichtet, dass der Tod schnell und ohne langes Leiden eingetreten sei, was in der Realität keinesfalls immer der Fall gewesen sein wird. Auch wird stets die große Beliebtheit des Gefallenen sowie seine außerordentliche Tapferkeit und sein Heldenmut hervorgehoben. („Jäh wurde ihr Gatte, der von seinen Vorgesetzten als frischer und strammer Soldat geschätzt wurde und bei seinen Kameraden und Untergebenen beliebt war, aus unserer Mitte gerissen.“) Zumeist werden auch noch die Umstände des Begräbnisses und der Begräbnisort beschrieben („Ihr Sohn fand seine letzte Ruhestätte auf dem Heldenfriedhof in Saporoshje, wo er heute mit allen militärischen Ehren beigesetzt worden ist. Der Nachlass wird Ihnen seitens der Lazarettverwaltung in Kürze zugesandt werden.“) In manchen Fällen wird sogar aus den beschönigenden Worten deutlich, dass es sich um hastige Bestattungen einer sich auf dem Rückzug befindlichen Armee handelte.
Obwohl man bei Durchsicht der Briefe den Eindruck bekommen kann, als wären immer wieder ähnlich lautende Formulierungshilfen verwendet worden, kann man durch diese  Sätze hindurch doch etwas vom grausamen und massenhaften Sterben an der Front erahnen. Und natürlich fehlt auch nicht die unverbrämte nationalsozialistische Propaganda, wenn es in nahezu allen Briefen wortgleich heißt: „Möge Ihnen die Gewissheit, dass Ihr Gatte/Sohn  sein Leben für die Größe und den Bestand von Volk, Führer und Vaterland hingegeben hat, Ihnen ein Trost sein in dem schweren Leid, das Sie betroffen hat.“
Aus den Briefen an die Angehörigen und den darauffolgenden Todesanzeigen kann man auch in vielen Fällen einen Zusammenhang zu den auf den Titelseiten der jeweiligen Ausgaben beschriebenen Kampfhandlungen herstellen. So wird im Mai/Juni 1943 fast ununterbrochen über die schweren Kämpfe am sogenannten Kuban-Brückenkopf in Südrussland berichtet. Mindestens zwei Sindelfinger Soldaten sind im Juni 1943 bei diesen Kämpfen ums Leben gekommen.
 
Manchmal dauerte es Monate, bis die Nachricht vom Tod an der Front die Angehörigen überhaupt erreichte. Zwar ist auch in zahlreichen Todesanzeigen in der Zeitung vom „Heldentod“ die Rede, aber oft wirkt das auch wie ein verzweifelter Versuch, dem furchtbaren Geschehen irgendeinen Sinn zu geben. Auf ein besonders tragisches Ereignis verweist eine Todesanzeige im NS-Kurier vom 17. Juni 1943, die gleich zwei junge Soldaten betrauert und ein gemeinsames Begräbnis ankündigt. Hintergrund ist, dass die beiden jungen Frauen Geschwister waren und innerhalb von zwei Tagen beide zu Witwen wurden. Vom Heldentod für das Vaterland ist in dieser Anzeige nicht die Rede: „Hart und schwer traf uns die schmerzliche Nachricht, dass mein lieber Mann und guter Vater, Sohn, Bruder, Schwager, Onkel und Schwiegersohn […] nie mehr zu uns zurückkehren soll.“

Foto: Bericht über die Kämpfe am Kubanbrückenkopf aus der NS-Kreiszeitung vom 8. Juni 1943. Stadtarchiv Sindelfingen
Foto: Gemeinsam Todesanzeige von zwei Schwestern, die ihre gefallenen Männer betrauern. NS-Kreiszeitung vom 17. Juni 1943. Stadtarchiv Sindelfingen
 

Mai 1943 – Mai 2023: „Frau und Mutter – Lebensquell des Volkes“

(Text: Illja Widmann)
 
Im Bestand des Sindelfinger Stadtmuseums befindet sich der Ausstellungskatalog „Frau und Mutter – Lebensquell des Volkes“ (1942). Das Buch war ein Geburtstagsgeschenk an eine junge Frau, das ihr 1943 von ihrem Onkel und ihrer Tante übergeben wurde.
1939 wurde die Propagandaausstellung „Frau und Mutter – Lebensquell des Volkes“ erstmals im Rahmen eines NSDAP-Parteitags gezeigt. Im Mittelpunkt stand die historische Betrachtung der Bedeutung und der Position der Frau von der „urgemanischen“ über die „großgermanische Zeit“ zum (Ersten) Weltkrieg mit der nachfolgenden „Verfallzeit“ der Weimarer Republik bis zum „Großdeutschen Reich“.
Bereits im Vorwort machte Robert Ley (Reichsorganisationsleiter und Leiter der Deutschen Arbeitsfront) die Bedeutung der Mutterschaft im Sinne der NS-Ideologie klar: „Jedes Kind, das durch eine deutsche Mutter zur Welt gebracht wurde, war eine gewonnene Schlacht für unser Volk.“
In der nationalsozialistischen Propaganda spielte die Position der Ehefrau und Mutter eine wichtige Rolle. Laut Reichsfrauenführerin Gertrud Scholz-Klink ist die Aufgabe der Frau „Spenderin und Bewahrerin des Lebens zu sein und die männlichen Werke der Tat durch die sorgenden und hütenden Kräfte zu ergänzen.“ Das Ziel des NS-Systems war die Einflussnahme über die Ehefrauen und Mütter auf die Privatsphäre der Familien. Zur Stärkung des Großmachtstrebens war der NS-Staat auf eine hohe Reproduktionsquote angewiesen. Die Frauen an der „Heimatfront“ waren zudem wichtige Stützpfeiler zur Sicherung der gesamten „Volksgemeinschaft“. 
Ab 1943 brachte das Oberkommando der Wehrmacht kleine Broschüren für die Soldaten heraus, sogenannte „Richthefte“. Hier wurde verschiedene Themen aufgegriffen, die sowohl den Kriegsalltag betrafen, als auch zur ideologischen Schulung dienen sollten. Heft Nummer 2 befasst sich unter dem Titel „Mehr Mut zum Leben – Ein offenes Wort zur Bevölkerungspolitik“ mit der Situation deutscher Familien. Hier wird ein „Geburtenkrieg“ propagiert mit der Aufforderung mehr Kinder in die Welt zu setzen, um den (angeblichen) Bedrohungen aus den östlichen Ländern begegnen zu können. Zudem dürfe der Wiederaufbau des eigenen Landes nicht mit ausländischen Kräften erfolgen. Die angepeilte Geburtenzahl solle bei sechs bis acht Kindern liegen. Zur Erreichung dieser Zahl sei es erforderlich, dass auch die älteren Frauen ihre Pflicht erfüllen. Mit der Forderung nach der Gründung von großen Familien wurden sowohl Männer als auch Frauen gesellschaftlich unter Druck gesetzt. Zudem musste die Finanzierung allein von den Familien geleistet werden, da der NS-Staat mit der Kriegsführung befasst war.

Titelblatt der NS-Publikation „Frau und Mutter – Lebensquell des Volkes“ von 1942
Ausschnitt aus der NS-Publikation „Frau und Mutter – Lebensquell des Volkes“ von 1942

April 1943 – April 2023 Der Krieg rückt näher an die Heimat

Luftschutzmaßnahmen im Frühjahr 1943
Es ist bemerkenswert, wie wir selbst in den Gemeinderatsprotokollen einer Kleinstadt wie Sindelfingen die zunehmend bedrohlicher werdende Kriegslage ablesen können. Immer mehr Tagesordnungspunkte befassen sich mit kriegsbedingten Themen. So wurde allein in der Gemeinderatssitzung vom 29. April 1943 über verschiedene Luftschutzmaßnahmen informiert.
Zunächst ging es um die Miete für die von der Stadt von privaten Eigentümern angemieteten Luftschutzkeller. Wir erfahren bei dieser Gelegenheit, dass es im April 1943 sieben solche größeren Luftschutzkeller in Privatbesitz gab. Zwei befanden sich am Hang des Goldbergs, die anderen waren überwiegend Kellerräume unter Wirtschaften. So wird vom Lindenkeller in der Böblinger Straße gegenüber dem Rathaus (das Gebäude und damit auch der Keller wurden vor wenigen Monaten abgebrochen), vom Hirschkeller in der Ziegelstraße, vom Lammkeller in der Langen Straße und vom Rössleskeller in der Wurmbergstraße gesprochen, die die Stadt für Jahresmieten zwischen 30 und 50 Mark inclusive Beleuchtung anmietete.
Beraten wurde auch, welche Gebäude und Einrichtungen wegen ihrer exponierten Lage einen Tarnanstrich erhalten sollten, um sie bei Fliegerangriffen schwerer erkennbar zu machen. So erwog man beispielsweise, die in den dreißiger Jahren gebaute, außerhalb des Ortes gelegene Goldbergsiedlung ebenso mit einer Tarnung zu versehen wie den Adolf-Hitler-Platz (heutiger Marktplatz) in der Stadtmitte. Welche Tarnmaßnahmen tatsächlich in welcher Art umgesetzt wurden, ist den Unterlagen nicht zu entnehmen.
Unabhängig von der Stadt sorgte das Daimler-Benz-Werk für seine eigenen Luftschutzmaßnahmen. Dazu gehörte eine Vernebelungsanlage, die das Werksgelände im Falle eines Luftangriffs unter einer Nebeldecke verschwinden lassen sollte. Offensichtlich richteten die benutzten Chemikalien erheblichen Schaden an Feldern und Obstbäumen an, denn im Gemeinderatsprotokoll vom Juni 1942 wird über diesbezügliche Beschwerden von Grundstücksbesitzern berichtet. Bis zum Frühjahr 1943 scheint sich die Situation verändert zu haben, die Angst vor Luftangriffen wog offensichtlich schwerer als mögliche Ernteschäden. Bürgermeister Pfitzer berichtete jedenfalls, dass die Anlage nach anfänglichen Beschwerden nun wegen ihres Nutzens gut akzeptiert sei und einer Erweiterung nichts im Wege stehe. Gegen Kriegsende, im März 1945, finden wir im Gemeinderatsprotokoll allerdings den Hinweis, dass auf einen weiteren Einsatz der Vernebelungsanlage verzichtet werden solle, da sie sowieso nichts mehr nütze. Zu diesem Zeitpunkt war das Daimler-Benz Werk schon zu großen Teilen zerstört.
Die intensive Beschäftigung mit Luftschutzmaßnahmen setzte sich in den folgenden Monaten fort. So wurde im Juni 1943 darüber berichtet, dass nun an verschiedenen Stellen in der Stadt mit dem Bau von Deckungsgräben begonnen werde. Geplant wurde in der Planie ein Graben für etwa 100 Personen, in der Zimmerplatzsiedlung für 50 und in der südlichen Altstadt nochmals für 100 Menschen. Bald musste man aber erkennen, dass all diese Maßnahmen bei der zunehmenden Luftüberlegenheit der Alliierten bei weitem nicht Onlineangebot: Langzeitprojekt "Vor 80 Jahren - Sindelfingen im Krieg"ausreichen würden, und man begann, die großen Stollenanlagen vorzubereiten, über die an anderer Stelle noch berichtet wird.
(Text: Horst Zecha)

Foto: Gasthof zur Linde, 1935 (Stadtarchiv Sindelfingen). Im Gasthof zur Linde befand sich im Zweiten Weltkrieg ein privater Luftschutzbunker
 

März 1943 - März 2023 Die Deportation der Sindelfinger Sinti-Familie Reinhardt

„...am 16.3.43 in ein Konzentrationslager eingewiesen...“
Die Deportation der Sindelfinger Sinti-Familie Reinhardt
 
Im Herbst 1930 hatten sich die ersten Mitglieder der Familie Reinhardt in Sindelfingen niedergelassen. Weit außerhalb der Stadt, im Gewann Stelle/Roter Berg hatten sie ein Grundstück gekauft und dort mehrere Wohn- und Eisenbahnwagen, später auch ein kleines Häuschen, aufgestellt. Die meisten erwachsenen Familienmitglieder lebten vom Hausierhandel, so dass sie von Frühjahr bis Herbst zumeist unterwegs waren und sich hauptsächlich über die Winterzeit auf ihrem Sindelfinger Grundstück aufhielten. In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre hatten einige männliche Familienangehörige feste Arbeitsverhältnisse bei örtlichen Baufirmen oder bei der Firma Daimler-Benz.
 
Wie überall waren die Sinti auch in Sindelfingen von Anfang an nicht gerne gesehen. Immer wieder bemühte sich Bürgermeister Hörmann, ab 1932 sein Nachfolger Pfitzer, erfolglos um eine Handhabe zur Ausweisung der Familie aus Sindelfingen.
 
1936 begann der Tübinger Nervenarzt Robert Ritter als Leiter der „Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle“ mit der reichsweiten systematischen Untersuchung von Sinti und Roma. Mit der pseudo-wissenschaftlichen Feststellung der vermeintlichen „rassischen Minderwertigkeit“ wurde der Boden für den späteren Massenmord bereitet. Dokumente aus dem Stadtarchiv und dem Bundesarchiv Koblenz belegen, dass Mitarbeiter von Robert Ritter oder auch er selbst mindestens zwei Mal, im Frühjahr 1937 und im Sommer 1938, an Sindelfinger Sinti ihre Untersuchungen durchführten.
 
Um die Jahreswende 1937/38 kam es im Rahmen von sogenannten „Maßnahmen gegen arbeitsscheue Elemente“ zu ersten großangelegten Verhaftungsaktionen. Offensichtlich wurden in diesem Zusammenhang auch Franz Anton und Johann Reinhardt aus Sindelfingen verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau verbracht. Im Juli 1939 wandte sich Katharina Reinhardt, Ehefrau und Mutter der beiden Inhaftierten, in einem eindringlichen Brief an Bürgermeister Pfitzer mit der Bitte, sich doch für die Freilassung ihrer Angehörigen einzusetzen. Wie verzweifelt ihre Lage gewesen sein muss, ist daran zu erkennen, dass sie ihm als Gegenleistung das Grundstück der Familie und den Wegzug aus Sindelfingen anbot. Eine Antwort auf das Schreiben von Katharina Reinhardt ist nicht überliefert.
 
Durch den Erlass zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“ vom 8. Dezember 1938 wurden die örtlichen Polizeibehörden angehalten, regelmäßig Listen über alle ortsansässigen „Zigeuner“ zu fertigen – die bürokratische Grundlage für die „endgültige Lösung der Zigeunerfrage“, wie es in dem Erlass heißt. Die in Sindelfingen in der Folgezeit gefertigten Listen sind im Stadtarchiv erhalten und geben recht präzise Auskunft darüber, wie viele und welche Familienmitglieder sich in Sindelfingen aufgehalten haben.
 
Die endgültige Entscheidung zur systematischen Inhaftierung und Ermordung von Sinti und Roma fiel um die Jahreswende 1942/43. Ab Februar 1943 begannen die planmäßigen Deportationen. Am 16. März wurde die Sindelfinger Familie Reinhardt schließlich abgeholt. Ihr Weg führte wie der tausender anderer Sinti und Roma in die nationalsozialistischen Todeslager.
 
Mindestens 17 Familienmitglieder sind in Auschwitz-Birkenau, Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau, Flossenbürg, Mauthausen, Mittelbau und Ravensbrück umgekommen. Ihre Namen sind auf der Gedenktafel neben dem Rathauseingang vermerkt. Das jüngste Kind der Familie war zum Zeitpunkt der Deportation gerade drei Jahre alt.
(Text: Horst Zecha)

Februar 1943 – Februar 2023 Stalingrad - Wendepunkt des Krieges

 Die Vitrine wird ab Dienstag, den 21.2. im Stadtmuseum zu sehen sein.

(Text: Illja Widmann)

Anfang Februar 1943 wurde die Bevölkerung des Deutschen Reichs erstmals in umfangreicher Weise offiziell mit Niederlagen der Wehrmacht konfrontiert. Die NS-Kreiszeitung veröffentlichte am 4. Februar die Bekanntgabe aus dem Führer-Hauptquartier: „Der Kampf um Stalingrad ist zu Ende...die 6. Armee [ist] der Übermacht der Feinde und der Ungunst der Verhältnisse erlegen.“ In den folgenden Tagen wurde Stalingrad zum Sinnbild der Tapferkeit der Wehrmacht, so titelte die Zeitung „Todesmutiger Wille trotzte der feindlichen Übermacht“, „Das entschlossene Nein der Helden von Stalingrad“, „Stählerner Wille“ - die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen.
Die Kapitulation der Wehrmachtsverbände unter Generalfeldmarschall Paulus war auf deutscher Seite noch mehr ein psychologischer als ein militärischer Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs. Für Adolf Hitler hatte Stalingrad eine symbolische Bedeutung und stand für den deutschen Siegeswillen und den Mythos der unbesiegbaren Wehrmacht.
Der Bevölkerung, auch in Sindelfingen, wurde nun erstmals deutlich vor Augen geführt, dass der Krieg mit einer möglichen Niederlage enden könnte. Viele Sindelfinger Familien erhielten nach der Kapitulation Anfang Februar keine Nachricht über den Verbleib ihrer Angehörigen. In der Zeitung wurde explizit darauf hingewiesen, dass diesbezügliche Nachfragen unterbleiben sollten. Etwa 20 Sindelfinger galten als Vermisste in Stalingrad, ihr Todesdatum ist nicht bekannt.
Als Reaktion auf die in der Öffentlichkeit heftig diskutierte Niederlage fand Anfang Februar eine Tagung der Reichs- und Gauleiter in Berlin statt. Ziel der Zusammenkunft war die „Zusammenfassung aller Kräfte der Nation für die totale Kriegsführung“. Auf lokaler Ebene wurde in der Folgezeit noch stärker als zuvor die Einheit und Unterstützung der „Heimatfront“ beschworen. Männer und Frauen wurden aufgerufen, sich für den Kriegseinsatz zu melden, dabei wurde auch an Frauen über 45 Jahren appelliert, ihrer „Pflicht“ nachzukommen „Es braucht keiner zu denken, er werde etwa bei Nichtmeldung nicht erfaßt. Die Nachzählung der Vollständigkeit erfolgt in enger Zusammenarbeit mit den Ortsgruppen der Partei.“
Die nationalsozialistische Propaganda gipfelte in der Rede von Joseph Goebbels am 18. Februar im Berliner Sportpalast. Vor ausgesuchtem Publikum wurde der „totale Krieg“ ausgerufen. Die NS-Kreiszeitung druckte einen Tag später die Rede im Wortlaut ab. Joseph Goebbels Rede dauerte über 100 Minuten und war komplett inszeniert, so wurden Sprechchöre einstudiert und der Applaus genau geplant. Zur Verstärkung spielte man sogar zusätzlichen Applaus ein. 
Am 18. Februar fand in Sindelfingen eine Kundgebung der NSDAP mit dem Titel „Durch Kampf und Not zum Sieg!“ mit einem Oberleutnant, der an der Ostfront gekämpft hatte, statt. Im gesamten Kreis gab es ähnliche Veranstaltungen.
In der Schlacht um Stalingrad starben ca. 400.000 sowjetische Soldaten, ca. 150.000 deutsche Soldaten, ca. 100.000 ergaben sich in Gefangenschaft (davon kehrten nur ca. 6.000 zurück). Die Zahl der zivilen Opfer ist unklar. Beide Seiten nahmen keine Rücksicht auf Zivilisten. Stalingrad hatte vor dem Beginn der Schlacht ca. 500.000 Einwohner, etwa 8.000 Menschen lebten nach der Schlacht noch in der zerstörten Stadt.
 

Nach der Niederlage von Stalingrad wurden in zunehmenden Maße Frauen in der Rüstungsproduktion eingesetzt.  
Anmerkung, NS-Kreiszeitung vom 19.2.1943, Stadtarchiv Sindelfingen
Aufruf an die „Heimatfront“ zur Kriegsunterstützung, NS-Kreiszeitung vom 8.2.1943, Stadtarchiv Sindelfingen

Januar 2023 - Januar 1943 - Wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ zum Tod verurteilt

Am 12. Oktober 1942 erhielt der achtzehnjährige Sindelfinger Sigurd Speidel seine Einberufung zur Wehrmacht. Eine rechtliche Möglichkeit, sich dieser Einberufung zu entziehen, gab es für ihn nicht. Bereits mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Jahr 1935 hatte die nationalsozialistische Regierung Wehrdienstverweigerung unter Haftstrafe gestellt. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 stand auf Wehrdienstverweigerung die Todesstrafe.
 
Sigurd Speidel meldete sich wie im Einberufungsbefehl festgesetzt am 20. Oktober bei seinem Ausbildungsbataillon in Horb. Am nächsten Tag erklärte er allerdings seinem Vorgesetzten, „dass er Zeuge Jehovas sei und nach den Lehren der Bibel, an die er sich halte, es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne, eine Uniform zu tragen und eine Waffe in die Hand zu nehmen.“ Diese Erklärung wiederholte er auch schriftlich. Damit war sein Schicksal besiegelt.
 
Am 7. Januar 1943 fand vor dem 3. Senat des Reichskriegsgerichts in Berlin der Prozess gegen Sigurd Speidel statt, in dem er zum Tode verurteilt wurde. In der Urteilsbegründung heißt es ganz im Sinne der NS-Ideologie: „Nach der vorangeführten Strafbestimmung ist die Tat des Angeklagten grundsätzlich mit dem Tode bedroht. Nur beim Vorliegen eines minderschweren Falles könnte auf Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe erkannt werden. Ein minderschwerer Fall kommt aber hier nicht in Frage. Der Angeklagte ist hartnäckig bei seiner Wehrdienstverweigerung geblieben und zeigt sich allen Belehrungen unzugänglich. Er hat kein Verständnis für die Not seines Volkes und für die Treuepflicht gegen Führer und Vaterland. Bei dieser Sachlage kann der Senat nur auf Tod erkennen.“
Am 27. Januar 1943 wurde Sigurd Speidel im Zuchthaus Berlin-Moabit enthauptet. Er war gerade 19 Jahre alt geworden.
Als die Nationalsozialisten im Januar 1933 die Macht übernahmen, gab es im Deutschen Reich etwa 25.000 bis 30.000 Menschen, die der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas angehörten. Deren Grundsatz, dass Gehorsam gegenüber Gott im Zweifelsfall über den Gehorsam gegenüber weltlichen Autoritäten zu stellen sei, musste von Anfang an zum Konflikt mit den nationalsozialistischen Machthabern und ihrem Totalitätsanspruch führen. Bereits am 24. Juni 1933 wurden die Zeugen Jehovas reichsweit verboten. Zahlreiche Mitglieder wurden in den folgenden Jahren verhaftet, in Konzentrationslager verbracht und oftmals schwer misshandelt. Für sie war eine eigene Kennzeichnung, der lila Winkel, vorgesehen. Etwa 1000 deutsche Zeugen Jehovas starben durch Gewaltmaßnahmen des NS-Regimes, etwa 270 davon wurden als Wehrdienstverweigerer hingerichtet.
 
Im Fall von Sigurd Speidel beschränkte sich die Verfolgung nicht nur auf seine Person, sondern betraf seine ganze Familie. Werner Speidel, Sigurds vierzehnjähriger Bruder, wurde den Eltern weggenommen und in ein Erziehungsheim verbracht, nachdem er gegenüber Mitschülern und der ermittelnden Polizei die standhafte Haltung seines Bruders gelobt hatte. Der damalige Volksschulrektor Kempf, zugleich Ortsgruppenleiter der NSDAP, befürwortete in seiner Stellungnahe diese Maßnahme ausdrücklich: „Umso notwendiger erscheint es mir, dafür Sorge zu tragen, dass er [Werner Speidel] weltanschaulich richtig erzogen wird. Es muss nach seinen Äusserungen durchaus mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass er sich beim Militär ebenso verhält wie sein Bruder. Von dem Grundsatz ausgehend, dass das Recht des Staates über dem Recht der Eltern steht, halte ich Fürsorgeerziehung für die richtige Lösung.“
(Text: Horst Zecha)

Sigurd Speidel. Er wurde mit 19 Jahren hingerichtet. 
Foto: Stadtarchiv Sindelfingen
Sigurd Speidel. Er wurde mit 19 Jahren hingerichtet. 
Foto: Stadtarchiv Sindelfingen
Todesurteil des Kriegsgerichts vom 7.1.1943
Stadtarchiv Sindelfingen
 

Dezember 2022 – Dezember 1942 - Weihnachtliches „Wettrüsten“

In der Vorweihnachtszeit 1942 wurde landesweit von Mädchen und Jungen der NS-Kinder- und Jugendorganisationen zum „Wohle des Vaterlands“ mit großem Aufwand Kinderspielzeug gebastelt. Die NS-Kreiszeitung berichtet darüber am 19. Dezember: „Zum vierten Weihnachtsfeste im Kriege hat die Hitler-Jugend eine Erzeugungsschlacht geschlagen, deren Echo noch in den nächsten Wochen nachklingen wird. Angespornt durch einen Aufruf des Reichsjugendführers, entfaltete sie ein Wettrüsten, dessen Ausmaße die deutsche Jugend zu Beginn ihrer segensreichen Arbeit wohl selbst nicht geahnt haben mag.“
Ganz im Sinne der NS-Propaganda wurden die Kinder und Jugendlichen „ermuntert“ in ihrer Freizeit Spielzeug für alle Kinder herzustellen, da auch die Spielwarenfabriken auf Rüstungsproduktion umgestellt hatten. Die Zeitung berichtet, dass so insgesamt sieben Millionen Spielzeuge entstanden. Wieder einmal zeigt sich, dass die NS-Organisationen vor allem die Lebenswelt der Kinder und Jugendliche fest im Griff hatten. Sie waren „dienstverpflichtet“ und arbeiteten nachmittags, abends und an Sonntagen ab 9 Uhr.  
Am 6. Dezember fand in der Sindelfinger Festhalle eine große Ausstellung statt. Die HJ präsentierte dabei 2.800 Spielsachen, die den Kindern von Gefallenen und Soldaten als Geschenk übergeben wurden. Das übrige Spielzeug wurde zwei Wochen später auf einem Weihnachtsmarkt der HJ verkauft. Am selben Wochenende, dem 19. und 20. Dezember, wurde von der HJ auch fürs Winterhilfswerk (WHW) gesammelt. Gegen eine Spende, der sich quasi niemand entziehen konnte, gab es Anhänger mit kleinem Holzspielzeug. Die NS-Kreiszeitung berichtet, dass insgesamt 55 Millionen Stück von Heimarbeiterinnen angefertigt wurden. Die Spenden sollten dem Hilfswerk „Mutter und Kind“ zugute kommen. Das WHW spielte eine entscheidende Rolle bei der Finanzierung der NS-Sozialpolitik.
Neben der jüngeren Generation waren vor allem auch Frauen und Mütter in besonderem Maße in der Vorweihnachtszeit eingespannt. Bei der NS-Frauenschaft wurde genäht und geflickt. Es gab Spendenaufrufe für Lebensmittel, aus denen die Frauen dann Plätzchen für Verwundete in den Lazaretten backen „durften“. Hier wurden Lebensmittel eingesetzt, die auf privaten Zuteilungskarten erworben wurden. 
Zum Weihnachtsfest in Kriegszeiten wurden auch die Soldaten an der Front mit Geschenken bedacht. Beliebt waren Spiele aus einfachen Materialien, die leicht transportiert werden konnten. Ein Beispiel dafür ist das kombinierte Schach-, Dame- und Mühlespiel, das mit einem „Gruß aus der Heimat“ versehen ist und in einem Feldpostpäckchen versandt wurde.

 (Text: Illja Widmann)

Schachspiel

November 2022 – November 1942 – „Erste Bombeneinschläge – der Krieg kommt näher.“

Im November 1942 notiert der Sindelfinger Bürgermeister Karl Pfitzer in der Ortschronik: „Bei dem Luftangriff feindlicher Flieger am 22.November 1942, bei welchem hauptsächlich die Fildergemeinden betroffen wurden, sind auch im Stadtwald Sindelfingen – Distrikt Kaufwald, Dreibrücklesrain, Sindelfinger Spitz, Jägerpfad und Seehau – Sprengbomben und Luftminen niedergegangen, wodurch im Stadtwald ein Schaden von etwa 3.000 RM verursacht wurde.“
Die erwähnten Walddistrikte befinden sich alle östlich Sindelfingens hauptsächlich entlang der heutigen S-Bahn-Linie und an der Gemarkungsgrenze zu Musberg und Oberaichen.
Was Karl Pfitzer beschreibt, ist der erste Luftangriff, der nennenswerte Schäden auf Sindelfinger Gemarkung hinterlassen hat. In einem Protokoll des Waldmeisters Schilling werden Größe der Bombentrichter und Holzverluste noch für jede einzelne Bombe detailliert beschrieben: „1 Luftmine hat sämtl. Eichen auf einer Fläche von rd. 1 ha und in Höhe von 3-10 mtr. Abgerissen. Geschätzter Anfall 50-60 fm. Schaden gross!“, heißt es da beispielsweise. Schon an diesem Beispiel wird deutlich, welch verheerende Wirkung die Bomben und Luftminen hatten, die zum Abwurf auf Stuttgart bestimmt waren. Tatsächlich berichtete auch die NS-Kreiszeitung am 24. November in der typischen Sprache der NS-Propaganda vom Luftangriff: „Mit seinem Terrorangriff auf Wohn- und Siedlungsviertel der schwäbischen Gauhauptstadt in der Nacht zum Montag hat der heuchlerische Brite erneut sein wahres Gesicht enthüllt.“, heißt es dort unter anderem.
Dass Luftangriffe zu dieser Zeit Ende 1942 noch eher selten vorkamen zeigt die Tatsache, dass am 28.11.1942 in der NS-Kreiszeitung eine Anzeige mit den Namen der 33 Stuttgarter Opfer erschien und am 30.11. nochmals ausführlich über die stattgefundene Trauerfeier berichtet wurde.
Insgesamt spiegeln die beginnenden Luftangriffe ein Stück weit die allgemeine Wende im Kriegsgeschehen am Ende des Jahres 1942 wider. Dazu passt auch, dass noch im Sommer und Frühherbst täglich in der NS-Kreiszeitung euphorische Berichte über die bevorstehende Einnahme Stalingrads durch deutsche Truppen erschienen und die Berichterstattung dann spätestens im November förmlich versiegte, als sich die humanitäre und militärische Katastrophe immer deutlicher abzuzeichnen begann. Auch die Berichterstattung über Luftangriffe wurde mit zunehmender Intensität immer mehr eingeschränkt, um die Bevölkerung nicht zu demoralisieren. Alles, was auf eine Kriegswende oder gar eine Niederlage hätte hindeuten können, wurde systematisch verschwiegen.
Auch in Sindelfingen mehrten sich ab dem Jahr 1943 weitere Luftangriffe. Erste Todesopfer unter der Zivilbevölkerung waren am 7./8. Oktober 1943 zu beklagen, als vor allem Böblingen und weitere Kreisgemeinden schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden. Angriffsziel war dabei nie die Stadt Sindelfingen selbst, die militärisch und strategisch unbedeutend war, sondern entweder die Großstadt Stuttgart oder das für die Rüstung produzierende Daimler-Benz-Werk. Sindelfingen erlitt also das, was in der Militärsprache gemeinhin als „Kollateralschäden“ bezeichnet wird. Die schlimmsten Angriffe hatte Sindelfingen im September 1944 zu verzeichnen, von ihnen wird in dieser Serie noch berichtet werden. Aber schon lange vorher hatte man aufgehört, einzelne Bombentrichter zu zählen.
 



Text von Horst Zecha

Auflistung der Stuttgarter Todesopfer des Luftangriffs vom 22.11.1942
Auflistung der Stuttgarter Todesopfer des Luftangriffs vom 22.11.1942
Gemeinderatsprotokoll vom 17.12.1942 mit dem Entschluss auf Schadensersatz gegenüber dem Reich für die entstandenen Flurschäden zu verzichten
Gemeinderatsprotokoll vom 17.12.1942 mit dem Entschluss auf Schadensersatz gegenüber dem Reich für die entstandenen Flurschäden zu verzichten

Oktober 1942 – Oktober 2022 - "Und wir sind doch noch so jung" - Russlandfeldzug Oktober 1942

Der Abiturjahrgang 1940 der damaligen Adolf-Hitler-Schule (heute Goldberggymnasium) hat der Nachwelt ein wertvolles schriftliches Zeugnis hinterlassen. In Form eines sogenannten Rundbuchs trugen die ehemaligen Schülerinnen und Schüler ihre Erlebnisse nach dem Abitur ein.

Neben dem Rundbuch gibt es weitere schriftliche Quellen. Von Hans Steisslinger (1922-1947), dem Sohn des bekannten Malers Fritz Steisslinger aus Böblingen, sind Tagebücher und Briefe erhalten, die sich im Besitz der Familie befinden. Hans Steisslinger erlebte schon früh in seinem Soldatenleben Gewalt und Tod. Die Tagebucheintragungen im Oktober 1942 zeigen einen desillusionierten jungen Mann. Er versah seinen Dienst mit Überzeugung und blickte dennoch kritisch auf Ereignisse und Situationen, mit denen er konfrontiert war.

Es hängen schwarze Wolken über dem deutschen Heer. Wolken! O, wie lang ich schon vorher ihr Nahen drückend gespürt habe! Uns geht die Luft knapp, sehr knapp. Keine Leute mehr. Was sich im letzten Monat mit unserer Division so furchtbar vollzogen hat, ging während des vergangenen Jahres wohl mit der ganzen Armee vor sich. Nun stehen die Heere und hecheln…Und dann: Der Krieg in Russland muss nächstes Jahr ein Ende finden! So sagt der Führer…Und ich gehe meine Pflicht zu tun. Es ist oft so, als sei ich beladen mit einer ungeheuren Last an Sorgen, während die meisten noch gleichmütig ihren Trott gehen. Und ich mußte für sie mitsorgen und alles selber abmachen, weil ich Offizier bin, zäh sein muß, trotz allem, und arbeiten und schweigen…Es ruht viel auf unseren Schultern. Und wir sind doch noch so jung. Vor dem Gesetz nicht einmal mündig! 20 Jahre.“ (Tagebuch 19.10.1942, Peri)

Zehn Tage später schreibt er an seinen Bruder Werner (1924-1945): „…der Anblick riesenhaft anwachsender Totenfelder, Kreuze, Namen, Hügel! Viele Kameraden liegen da, die noch vor Tagen mit mir lachten. Und einer war dabei, der seit einem Jahr fast jeden Tag mit mir geteilt hat…nun hab` ich ihn liegen lassen und geh` allein weiter. Nicht ärmer oder trauriger. Nur die Augen etwas mehr zusammengekniffen und den Mund schmaler. So ist das bei uns! Hat seine Richtigkeit. Wenn uns mal so ein unvernünftiges Ding erwischt, vielleicht gleich heute Nacht, wollen wir die Letzten sein, die sich beklagen. Wir haben vom Leben noch nichts gehabt. O ja, wohl mehr als andere. Denn wir haben so viele Hüllen fallen sehen, so viel Nacktheit, Feigheit, Häßlichkeit. Aber alles im Feuer der Front…Wir schlafen nachts nicht mehr, sondern lauern zum Feind hin.“

Im Tagebuch vom 31.10.1942 beschreibt sich Hans Steisslinger selbst: „Bewaffnet bis an die Zähne: Pistole am Koppel, Pistole in der Tasche, Handgranate in der Tasche, grüne und weiße Leuchtkugeln, Lichtpistole in Koppel gesteckt, Fernglas an der Brust und Taschenlampe. Und unter allem krabbeln und beißen die Läuse…Großvater hat mal wieder einen Brief geschrieben, von Heldentum und Deutschlands Aufstieg und lauter schönen Sachen…Wenn er wüßte, wie sich das im Bunker anhört und in so einer Nacht über Rußland…Dein Enkel ist älter als du!“
Die Texte von Hans Steisslinger offenbaren die Realität des Krieges und die Hoffnungslosigkeit des jungen Mannes, der wohl bereits erkannte, dass der Krieg in Russland nicht gewonnen werden konnte. Hans Steisslinger starb 1947 an den Folgen einer Verwundung.
 

(Text: Illja Widmann)

Foto: Hans Steißlinger, gemalt von seinem Vater Fritz Steißlinger, um 1940. (Bild in Privatbesitz. Foto: Stadtmuseum)
Foto: Hans Steißlinger, gemalt von seinem Vater Fritz Steißlinger, um 1940. (Bild in Privatbesitz. Foto: Stadtmuseum)

September 1942 – September 2022 - Kochtipps im Dienste der NS-Propaganda

Mit zunehmender Kriegsdauer gab es in der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung immer spürbarere Einschränkungen. Sehr viele Nahrungsmittel waren rationiert und wurden über Lebensmittelkarten zugeteilt. Verstöße gegen die Kriegswirtschaftsverordnung, z.B. Schwarzhandel oder Schwarzschlachtungen wurden mit drakonischen Strafen belegt. Als abschreckende Beispiele wurde in den Zeitungen regelmäßig über Prozesse und Verurteilungen in diesem Zusammenhang berichtet.
 
Andererseits finden wir in den Zeitungen ebenso regelmäßig und in großer Zahl Tipps zur Verarbeitung von verfügbaren Lebensmitteln, Rezepte und Vorschläge für wöchentliche Speisepläne. Was zunächst ganz harmlos und praktisch daherkommt, hatte allerdings ebenso wie die Berichte über verurteilte Schwarzhändler einen handfesten propagandistischen Hintergrund.
 
Hinter den umfangreichen Ernährungstipps und Vorschlägen für Speisepläne stand der 1936 gegründete Reichsausschuss für Volkswirtschaftliche Aufklärung. Diese Einrichtung mit Sitz in Berlin und ihr angeschlossene Institutionen betrieben mit ihren oft fröhlich aufgemachten Veröffentlichungen eine gezielte Verbraucherlenkung. Indem sie ihre Rezepte und Ernährungsratschläge auf die verfügbaren Lebensmittel bezogen und den Mehrwert dieser Zubereitungen priesen, wirkten sie einer Unzufriedenheit in der Bevölkerung über den zunehmenden Mangel entgegen und stützten das Bild einer intakten Versorgung. Dabei wurde nicht nur die Presse genutzt, sondern mit bunten Heften und Loseblatt-Sammlungen von Zubereitungs- und Kochvorschlägen das ganze Land überzogen. „Graupen – ein Kochproblem mit vielen dankbaren Lösungen“ oder „Die Kartoffel trägt unsere Ernährung“ waren die Hefte beispielsweise betitelt und lustig illustriert.
 
Tatsächlich hatte man Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg vor Augen, als vor allem der sogenannte Kohlrübenwinter 1917 Hungersnot und in der Folge große politische Unruhen mit sich gebracht hatte. Solche Verhältnisse wollte man um jeden Preis vermeiden.
 
In diesem Zusammenhang verwundert es dann nicht, dass auch die Hausfrauen als Köchinnen nicht mehr nur als Versorgerinnen ihrer Familien gesehen, sondern in dieser Funktion zu Kämpferinnen für die „Volksgesundheit“ stilisiert wurden. So heißt es beispielsweise in einem Zeitungsbericht vom 11. September 1942 über einen Hausfrauennachmittag der Kreisfrauenschaft in Böblingen: „Es sei unbedingte Pflicht, die Nahrungsmittel, besonders die vitaminhaltigen Gemüse, so zuzubereiten, dass die Lebensstoffe möglichst erhalten bleiben. Wir Frauen haben so in besonders hohem Maße zur Erhaltung und Förderung der Volksgesundheit beizutragen.“
 
Noch deutlicher wird der Zusammenhang von hausfraulichen Tätigkeiten und politischer Propaganda in einem Artikel vom 12. September 1942, der unter der Überschrift „Die Meister-Hausfrauen von morgen“ über Prüfungen an der Böblinger Haushaltungsschule berichtet: „In einer kurzen schriftlichen Arbeit, in theoretischen Fragen, hatten die Mädel zunächst einmal zu beweisen, daß sie schon rein theoretisch ihren Hausfrauenberuf beherrschen, dass sie auf allen Gebieten ihres Berufes Bescheid wissen, aber auch, dass sie in der Lage sind, gerade ihren wichtigen Hausfrauenberuf in Zusammenhang zu dem politischen Geschehen zu bringen, oder anders ausgedrückt: dieses politische Geschehen in ihren Beruf mit einzubeziehen.“ 

Text: Horst Zecha

Foto: Rezeptheft des Reichsnährstandes „Hauptgerichte einmal ohne Fleisch“ mit lustigen Gemüsefiguren. Auf diese Weise sollte der Bevölkerung das fleischlose Essen schmackhaft gemacht werden. (Stadtmuseum Sindelfingen)
Foto: Rezeptheft des Reichsnährstandes „Hauptgerichte einmal ohne Fleisch“ mit lustigen Gemüsefiguren. Auf diese Weise sollte der Bevölkerung das fleischlose Essen schmackhaft gemacht werden. (Stadtmuseum Sindelfingen)

August 1942 – August 2022 - Jeder Volksgenosse vor dem Röntgenapparat

Im August 1942 wurde die Sindelfinger Bevölkerung über die bevorstehende Volksröntgenuntersuchung im Kreis Böblingen informiert. Mittels umfangreicher Informationen in der NS-Kreiszeitung und Infoblättern sollten alle Personen ab sechs Jahren „freiwillig“ zur Teilnahme verpflichtet werden.

Die Bekämpfung der Tuberkulose war eine der vordringlichsten Aufgaben des NS-Gesundheitswesens. Mitte der 1930er Jahre war sie die am häufigsten gemeldete übertragbare Krankheit und galt als zweithäufigste Todesursache. Die Behandlung der Tuberkulose war sehr zeitaufwändig und damit kostenintensiv. Viele Erkrankungen wurden erst spät erkannt und konnten sich somit weit verbreiten. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg, war man sich durchaus bewusst, dass in Kriegszeiten diese ansteckende Krankheit wieder verstärkt zum Ausbruch kommen würde. Die Volkskrankheit Tuberkulose galt im NS-Staat als Bedrohung des „Volkskörpers“.

Für die Diagnostik der Tuberkulose kamen neue Röntgenapparate zum Einsatz. Diese Geräte konnten nun in kurzer Zeit viele Aufnahmen erstellen. Im Bericht der NS-Kreiszeitung war von 3.000 Untersuchungen am Tag die Rede. Somit war es ab 1938 möglich Reihenuntersuchungen durchzuführen. Ab 1939 war der neu gegründete „SS-Röntgensturmbann“ mit mobilen Geräten in vielen Regionen unterwegs. Die Einheit folgte der Deutschen Wehrmacht nach dem Überfall Polens in den Osten. Die Anweisungen wurden direkt durch den Reichsgesundheitsführer erteilt.

Doch worauf zielte die Erstellung der Tuberkulose-Diagnosen ab? Sicherlich sollten die Erkrankten frühzeitig erkannt und behandelt werden. Dann jedoch sollte kontrolliert werden, ob die bereits infizierte Bevölkerung sich den Vorgaben entsprechend verantwortungsbewusst verhält. Der andere Aspekt war jedoch der „Kampf gegen die minderwertige Erbanlage“. „Asoziale Tuberkulöse“ konnten als „Psychopathen“ in Anstalten eingewiesen werden und erlitten dann dasselbe Schicksal wie die Euthanasie-Opfer.

In den von den deutschen Soldaten besetzten Gebieten im Osten fürchteten die Gesundheitsbehörden die Tuberkulose der einheimischen Bevölkerung sehr. Eine Behandlung war dort jedoch nicht vorgesehen. Im Herbst 1942 stimmte Himmler der „Sonderbehandlung“ (Ermordung) der stark an Tuberkulose erkrankten Menschen, vor allem aus der jüdischen Bevölkerung, zu. Es gab jedoch auch Überlegungen zur „Errichtung eines Reservats“. Zu diesem Themenkomplex gibt es aktuell noch Forschungsbedarf.

In Sindelfingen begann die Volksröntgenuntersuchung am 31. August 1942 in den Großbetrieben, die Bewohnerschaft wurde am 5. September in der damaligen Horst-Wessel-Schule untersucht. Die Kosten dafür betrugen 80 Pfennig pro Person.
In der NS-Kreiszeitung wurde von der festlichen Eröffnung der Aktion berichtet und hier ist dann auch deutlich die eigentliche Intention der NS-Behörden erkennbar: „Kreisleiter Altenmüller stellte in seiner Ansprache besonders die politische Bedeutung der Volksröntgenuntersuchung heraus. Er verwies auf die gewaltigen Aufgaben, die uns in Zukunft bevorstehen und die das deutsche Volk nur erfüllen kann, wenn es nicht nur rassisch einheitlich ausgerichtet und seelisch-geistig gesund ist, sondern auch körperlich den Anforderungen gewachsen…[die Untersuchung] ist Teil der großen Gesamtplanung…Sie dient der Erhaltung der Volksgesundheit und -kraft auf lange Zeit…Gemeinnutz geht vor Eigennutz.“

 Text: Illja Widmann

Infoblatt, das an die Bevölkerung über die Volksröntgenuntersuchung im Kreis Böblingen verteilt wurde. (Stadtmuseum Sindelfingen)
Infoblatt, das an die Bevölkerung über die Volksröntgenuntersuchung im Kreis Böblingen verteilt wurde. (Stadtmuseum Sindelfingen)

Juli 2022 - Juli 1942 - Der Umgang mit Zwangsarbeitern als Spiegel der NS-Rassenideologie

Im Gemeinderatsprotokoll vom 30. Juli 1942 findet sich unter §61 der Beratungsgegenstand „Beschaffung von Unterkunftsbaracken für russische Zivilarbeiter“. Darin wird ausgeführt: „Verschiedene Gewerbetreibende hier, so u.a. die Uhrenfabrik Suevia und Martin Bitzer sind an die Stadtverwaltung herangetreten, um einen geeigneten Platz zur Erstellung einer Unterkunftsbaracke zur Unterbringung der ihnen in Aussicht gestellten Zuweisung russischer Zivilarbeiter durch die Stadt zur Verfügung zu stellen.“
 
Grundsätzlich war die Unterbringung von Zwangsarbeitern Aufgabe der Unternehmen, die sie beschäftigten, aber ohne städtische Hilfe waren häufig keine Standorte zu finden. So zieht sich das Thema wie ein roter Faden durch die Gemeinderatsprotokolle der Kriegszeit. Das verwundert nicht. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass in Sindelfingen, das bei Kriegsbeginn knapp 9.000 Einwohner hatte, zwischen 1940 und 1945 über 3.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt waren, kann man ermessen, welche Herausforderungen an Ernährung und Unterbringung sich unter den ohnehin schwierigen Kriegsverhältnissen daraus ergaben. Es wird aber auch deutlich, dass diese Menschen das Alltagsleben in Sindelfingen in den Kriegsjahren mitgeprägt haben.
 
Die Schülerarbeitsgruppe am Goldberg-Gymnasium hat in ihrer preisgekrönten Veröffentlichung von 1989 „Zwangsarbeiter in Sindelfingen 1940-1945“ aus den Unterlagen des Stadtarchivs über 100 Orte in Sindelfingen ermittelt, an denen Zwangsarbeiter untergebracht waren. Dabei muss unterschieden werden zwischen Kriegsgefangenen, die überwiegend in bewachten Lagern untergebracht waren, zwischen den sogenannten Westarbeitern - das waren Zivilarbeiter überwiegend aus den Niederlanden und Frankreich – und den sogenannten Ostarbeiterinnen und Ostarbeitern, die nach dem Überfall auf die Sowjetunion seit Sommer 1941 in zunehmender Zahl zwangsweise aus den besetzten Gebieten ins Deutsche Reich zum Arbeitseinsatz deportiert wurden.
 
Die sogenannten Westarbeiter – überwiegend junge, gut ausgebildete Männer – waren häufig privat oder in Gaststätten untergebracht und konnten sich in der Stadt frei bewegen. Für die Menschen aus den besetzten sowjetischen Gebieten war die Unterbringung in geschlossenen Lagern vorgesehen. In der Versorgung und der gesamten Behandlung gab es zwischen den beiden genannten Zwangsarbeitergruppen gravierende Unterschiede. Dies war in erster Linie in der NS-Rassenideologie begründet, die die sogenannten „Ostvölker“ als minderwertig ansah. Hinzu kam noch, dass man sich vor möglichen Gefahren für die deutsche Belegschaft und die deutsche Bevölkerung allgemein fürchtete, wie aus einem Schreiben der Gestapo vom Februar 1942 deutlich wird, wo es heißt: „Mit Rücksicht darauf, dass die zum Einsatz kommenden Kräfte jahrzehntelang unter bolschewistischer Herrschaft gelebt haben und systematisch zu Feinden des nationalsozialistischen Deutschland und der europäischen Kultur erzogen wurden, sind besonders strenge Bewachungsmaßnahmen erforderlich.“
 
Zahlreiche Sindelfinger Firmen und die Stadt selbst beschäftigten Zwangsarbeiter, der überwiegende Teil war aber zur Rüstungsproduktion im Daimler-Benz-Werk eingesetzt. In Nähe zum Werk entstanden an der Riedmühle (heute innerhalb des Werksgeländes), an der Böblinger Allee (in der Nähe des heutigen Kundencenters) und am Daimlerweg große Barackenlager. Heute erinnern neben der Dokumentation der Schülerarbeitsgruppe eine Gedenktafel und zwei Sammelgräber auf dem alten Friedhof an die Geschichte der Zwangsarbeiter in Sindelfingen, die auch in dieser Serie an späterer Stelle nochmals aufgegriffen wird. 

Text: Horst Zecha

Foto: Sogenanntes Westarbeiterlager im Bereich der ehemaligen Riedmühle. Stadtarchiv Sindel-fingen, Quelle: Daimler-Archiv
Foto: Sogenanntes Westarbeiterlager im Bereich der ehemaligen Riedmühle. Stadtarchiv Sindelfingen, Quelle: Daimler-Archiv

Juni 2022 - Juni 1942 - „Flotte Malerei“ für ein zukünftiges Heimatmuseum

Heute erstaunt es uns, wenn wir erfahren, dass mitten im Zweiten Weltkrieg die Sindelfinger Stadtverwaltung die Einrichtung eines Heimatmuseums in Friedenszeiten plante. Am 10. Juni 1942 kaufte die Stadt für 250 Reichsmark dem Hilfsarbeiter Michael Müller ein „Decken- und Wandgetäfer mit Malereien aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts“ aus dem Haus Stumpengasse 1 ab. Die bemalten Holztafeln wurden „…vom Stadtbauamt ausgebaut und im alten Rathaus zur späteren Verwendung für ein Heimatmuseum… aufbewahrt.“
 
Um welche Holztafeln handelte es sich hierbei? Im Haus Stumpengasse 1, das 1977 abgerissen wurde, lebte der ehemalige Sindelfinger Bürgermeister Jakob Heinrich Gußmann (1717-1782). Sein Porträt ist heute im Stadtmuseum zu sehen. Die Wohnstube der Familie Gußmann war mit 31 Wand- und 28 Deckentafeln geschmückt. In der Manier des Rokokos ließ sich der „Herrscher von Sindelfingen“ ein prächtiges Zimmer mit dekorativen Elementen aber auch neckischen und derben Szenen ausmalen. Diese Art der Bemalung war damals im adligen oder sehr wohlhabenden Bürgertum zu finden. In einer kleinen Stadt wie Sindelfingen, mit damals ca. zweitausend Einwohnern war das absolut ungewöhnlich.
 
Bereits 1934 plante Bürgermeister Pfitzer die Einrichtung eines Heimatmuseums. Dazu fand am 1. Oktober 1934 eine Versammlung statt, zu der der Bürgermeister unter anderem Lehrer, den Stadtpfarrer und den Stadtpfleger eingeladen hatte. Der Gemeinderat genehmigte im selben Monat die Einrichtung des Museums im Alten Rathaus. Es gab auch bereits einen Aufruf an die Bevölkerung zur Abgabe von „Altertümern“ an die Stadt. In den folgenden Jahren scheint der Plan dann jedoch nicht aktiv weiter verfolgt worden zu sein.
 
Die Bedeutung der Wandmalereien in der Stumpengasse war dem Bürgermeister sicherlich bewusst. In einem Brief an das Landesamt für Denkmalpflege vom Mai 1942 bat er deshalb um ein Gutachten. Landeskonservator Richard Schmidt bescheinigte der „Wandverschalung“ eine „flotte Malerei…welche man in einer einfachen Bauernstube gar nicht erwarten würde“. „Der Raum würde sich…ausgezeichnet zum Einbau in ein Heimatmuseum eignen…Ich würde Ihnen sehr empfehlen, die Vertäfelung zu erwerben.“
 
Wie ging es weiter? 1958 wurde das Stadtmuseum im Dachgeschoss des Alten Rathauses eingerichtet. Aufgrund des begrenzten Platzes war es nicht möglich, die Gußmann-Stube aufzustellen. Sie wurde im selben Jahr dem Württembergischen Landesmuseum leihweise überlassen, 1962 ging sie dann, im Tausch gegen mehrere Ausstellungsobjekte, in dessen Besitz über. Die Stube war von 1989 bis 2014 im Museum der Alltagskultur in Waldenbuch zu sehen. Seither befinden sich die Wand- und Deckentafeln als Leihgabe eingelagert in Sindelfingen. Die Aufstellung der Stube erfordert Umbaumaßnahmen im Stadtmuseum, die aktuell noch nicht realisiert wurden. Anfang 2023 ist eine kleine Ausstellung im Museum geplant. 

Text: Illja Widmann

Der Grenadier in Lebensgröße „begrüßte“ früher die Besucher, die in die Gußmann-Stube eintraten.  Foto: Stadtmuseum Sindelfingen.
Der Grenadier in Lebensgröße „begrüßte“ früher die Besucher, die in die Gußmann-Stube eintraten.
Foto: Stadtmuseum Sindelfingen.
Eine Frau schlägt mit einem Spinnrocken ihren Mann, der offenbar fremdgegangen war. Foto: Stadtmuseum Sindelfingen.
Eine Frau schlägt mit einem Spinnrocken ihren Mann, der offenbar fremdgegangen war. Foto: Stadtmuseum Sindelfingen.

Mai 2022 – Mai 1942 - „Erweiterung des „Ehrenfriedhofs“

Auf dem Sindelfinger Friedhof (hinter dem damaligen Rathaus, heute Galerie) wurde bereits für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs ein „Ehrenfriedhof“ mit einem Denkmal angelegt. Im Laufe des Zweiten Weltkriegs wurden in diesem Bereich auch die nun verstorbenen Soldaten beigesetzt. Allerdings war sich bereits im Frühjahr 1942 Bürgermeister Pfitzer darüber im Klaren, dass mit einem raschen Kriegsende wohl nicht zu rechnen wäre und er erteilte im März 1942 dem Stadtbauamt die Aufgabe, auf dem Friedhof das „Ehrenfeld…für die Beerdigung von Kriegsteilnehmern … raschestens“ zu erweitern. „Wenn in der nächsten Zeit Kriegsopfer beerdigt werden sollen, kommen wir geradezu in Verlegenheit.“
 
Die nationalsozialistischen Machthaber befanden sich mit dem Fortschreiten des Krieges in einem Dilemma. Einerseits wurde durch die gesamte Propagandamaschinerie die erfolgreiche deutsche Wehrmacht gerühmt, andererseits war auch an der „Heimatfront“ offensichtlich, dass der Krieg zunehmend mehr Opfer kosten würde. Zu Beginn des Krieges sollte das Gedenken an die Opfer, auf Wunsch von Adolf Hitler, nicht öffentlich zelebriert werden. Gleichzeitig jedoch wurde das Sterben im Namen von „Führer, Volk und Vaterland“ ideologisiert und die gefallenen Soldaten heroisiert. Eine wichtige Funktion hatte dabei der „Kriegerfriedhof“, dessen Gestaltungselemente genau vorgegeben waren. Dabei wurde öffentlich nicht erwähnt, dass es aus militärtaktischen Gründen gar nicht vorgesehen war, alle Gefallenen an ihrem Heimatort zu bestatten, da für diesen Zweck keine Transportkapazitäten vorgesehen waren. Die Gräberfelder standen ab 1942 jedoch nicht ausschließlich für verstorbene Soldaten zu Verfügung. In einem Brief vom 28. Mai 1942 aus dem württembergischen Innenministerium wurde bekanntgegeben, dass auf den „Kriegerfriedhöfen“ auch Opfer von Luftangriffen beerdigt werden könnten. „Da die Opfer von Luftangriffen ebenso wie die Soldaten an der Front für Deutschlands Grösse gefallen sind, sollen ihre Grabdenkmäler mit dem Eisernen Kreuz geschmückt werden.“ Am 5. Mai 1942 wurden in Stuttgart bei einem Luftangriff 13 Menschen getötet. Die Bevölkerung erlebte immer häufiger, dass auch die „Heimatfront“ lebensgefährlich war.
 
In Sindelfingen wurde am 11. Mai 1942 der Friedhofwärter Robert Schurer von Stadtbaumeister Schube in Kenntnis gesetzt, dass der Friedhof umgehend erweitert werden müsste, da alle Gräber belegt seien. Er erhielt den Auftrag, 15 vorhandene Gräber in Abstimmung mit den Hinterbliebenen abzuräumen und eventuell die Gebeine umzubetten, um Platz für neue Gräber auf dem „Ehrenfriedhof“ zu schaffen.
 
Der Gemeinderat besichtigte im Juni die neue Friedhofsanlage: „Dabei kommt einmütig zum Ausdruck, dass die veränderte Anlage sich gut in das Friedhofbild einfüge und dass die für die Gefallenen des jetzigen Krieges als Grabmal vorgesehenen Holzkreuze in Form des Eisernen Kreuzes durchweg für diese Gefallenen auf Stadtkosten errichtet und beschriftet werden sollen“ .

Text: Illja Widmann

Plan zur Erweiterung des „Ehrenfriedhofs“ für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs, Mai/Juni 1942 (Scan Stadtarchiv). Die rot markierten Gräber 21 bis 40 wurden neu angelegt.
Plan zur Erweiterung des „Ehrenfriedhofs“ für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs, Mai/Juni 1942 (Scan Stadtarchiv). Die rot markierten Gräber 21 bis 40 wurden neu angelegt.

April 2022 – April 1942 - „Sindelfinger Opfer des NS-Terrors“

Im April 1942 starb Karl Keinath im KZ und die jüdische Familie Ullmann wurde deportiert
 
Eine Gedenktafel am Rathaus erinnert heute an die Sindelfinger Opfer des nationalsozialistischen Terrors. Vermerkt sind dort unter anderem die Namen von Karl Keinath und die der Mitglieder der jüdischen Familie Ullmann. Die Schicksale dieser Menschen trafen im April 1942 zusammen.

Karl Keinath wurde 1895 in Häg bei Schopfheim geboren und kam 1924 nach Sindelfingen, wo er bei der Firma Daimler-Benz als Lackierer arbeitete. Er schloss sich der Kommunistischen Partei an und kandidierte auf der Liste der KPD 1931 für den Gemeinderat. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung im Januar 1933 und dem bald darauffolgenden Verbot der KPD ist Karl Keinath nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten, hat aber möglicherweise im Untergrund weitergearbeitet. 1935 kam es zu einem folgenschweren Treffen ehemaliger Sindelfinger KPD-Mitglieder, an dem unter anderem auch Karl Keinath und Wilhelm Brendle teilnahmen, über dessen Schicksal im Januar 2020 bereits berichtet wurde. Das Treffen wurde an die Gestapo verraten; am 6. Juni wurde Karl Keinath verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu sechs Jahren Haft verurteilt. Auch seine Frau Emma wurde einige Monate inhaftiert, die Kinder kamen ins Erziehungsheim. Nach Verbüßung der Haftstrafe wurde Keinath ohne weiteres Verfahren bis Anfang September 1941 im KZ Welzheim festgehalten, danach wurde er ins KZ Flossenbürg nahe der tschechischen Grenze verbracht. Dort ist er unter nicht näher geklärten Umständen am 18. April 1942 gestorben.

Über die zunehmenden Repressalien gegen die jüdische Familie Ullmann bis hin zur wirtschaftlichen Vernichtung wurde bereits in einem Artikel im Juli 2021 berichtet. Die Familie betrieb seit 1923 in Sindelfingen eine Viehhandlung und hatte ihr Wohn- und Stallgebäude in der Oberen Vorstadt 1, wo heute das Domo steht. Heute erinnert ein von der Schülerarbeitsgruppe am Goldberggymnasium initiiertes Denkmal vor dem Domo an das Schicksal der Familie. Nachdem ein Teil der Familie 1935 nach Stuttgart verzogen war, verblieben in Stuttgart noch Siegmund, Bella, Irene und Emil Ullmann. Nach immer weiteren wirtschaftlichen Einschränkungen mussten die Ullmanns die Viehhandlung und Emil Ullmann seine Schneiderei 1938 aufgeben. Im Dezember 1941 wurden die Stuttgarter Familienmitglieder Siegfried und Lily Ullmann mit einem Sammeltransport vom Killesberg aus Richtung Riga deportiert, wo sich ihre Spur verliert. Dass sie offensichtlich genau wussten, welches Schicksal sie erwartete, geht aus den nach dem Krieg erstellten Entschädigungsakten hervor, in denen es heißt: „Die Eltern [Siegfried und Lily Ullmann] des Antragstellers waren mit der erwähnten Frau Mantel (…) befreundet und ersuchten diese vor ihrem Abtransport, falls sie sich nicht bis 6 Monate nach Kriegsende bei ihr melden würden, sie als nicht mehr am Leben zu betrachten und ihre Kinder Helmut und Edith in England bzw. Amerika zu verständigen.“

Die in Sindelfingen verbliebenen Mitglieder der Familie wurden am 28. April 1942 ebenfalls von Stuttgart aus nach Izbica/Polen deportiert, auch ihr genauer Todesort ist unbekannt. Vermutlich wurden sie im benachbarten Vernichtungslager Majdanek ermordet.

Überlebt haben lediglich Helmut und Irene Ullmann, die von ihren Eltern Mitte der dreißiger Jahre noch in die USA in Sicherheit gebracht werden konnten. Helmut hat bis kurz vor seinem Tod 2007 den Kontakt zu Sindelfingen gepflegt und war immer ein versöhnlicher Gesprächspartner. „Ich kann vergeben, aber nicht vergessen“, hat er immer wieder gesagt. 

Text: Horst Zecha

Foto: Karl Keinath, Aufnahme ca. 1930. Stadtarchiv Sindelfingen.
Foto: Karl Keinath, Aufnahme ca. 1930. Stadtarchiv Sindelfingen.
Foto: Todesanzeige für Karl Keinath, NS-Kreiszeitung 24.4.1942. Stadtarchiv Sindelfingen 
Foto: Todesanzeige für Karl Keinath, NS-Kreiszeitung 24.4.1942. Stadtarchiv Sindelfingen 

März 2022 – März 1942 - „Ewig bleibt der Toten Kämpferruhm“

Am 15. März 1942 wurde im gesamten Deutschen Reich der „Heldengedenktag“ begangen – so auch in Sindelfingen. „Die Festhalle war würdig geschmückt. Von zwei Pylonen am Saaleingang flammten die Opferfeuer. Im Inneren der Festhalle zog ein von einem Lorbeerkranz umgebenes Eisernes Kreuz die Blicke auf sich, das über den eichenen Namenstafeln der Gefallenen der Stadt Sindelfingen stand. Eine Eichentafel in der Mitte verkündete mit dem Spruch aus der „Edda“: Besitz stirbt, Sippen sterben, du selbst stirbst wie sie. - Aber ewig bleibet der Toten Kämpferruhm…Dumpfer Trommelwirbel begleitete den Fahneneinmarsch…“ (aus der NS-Kreiszeitung vom 17. März 1942)

Die Einführung des „Heldengedenktags“ geht auf eine Umbenennung des Volkstrauertags zurück. Dieser wurde nach dem Ersten Weltkrieg vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) ins Leben gerufen und seit 1926 am 5. Sonntag vor Ostern abgehalten. Die Nationalsozialisten erließen bereits 1934 ein „Feiertagsgesetz“ und benannten den Volkstrauertag in „Heldengedenktag“ um. Für die Gestaltung und Organisation war ab jetzt das Propaganda- und Innenministerium zuständig. Der Feiertag war von großer Bedeutung im nationalsozialistischen Festtagskalender und war häufig mit weiteren Ereignissen verbunden. So wurde 1935 die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht auf diesen Tag gelegt und 1936 erfolgte die Besetzung des entmilitarisierten Rheinlands und damit der Bruch des Versailler Vertrags am Vorabend des Feiertags.

In Sindelfingen fand die „Heldengedenkfeier“ am 15. März 1942 um 15 Uhr statt. Vor dem Saal wurden Pylonen mit Feuern aus Wachsfackeln und Spiritus entzündet. Im Saal befanden sich auf der Bühne 48 Holztafeln mit den Namen der Gefallenen und Vermissten. Die Anfertigung der Tafeln übernahm Schreiner Nißler. Mit der Ausfertigung wurde der Bildhauer Robert Schäfer vom Stadtbaumeister beauftragt. Er musste dafür Sorge tragen, dass alle Namen rechtzeitig zur Feier an die Handwerker weitergegeben wurden. Der letzte Auftrag erging am 12. März. Es handelte sich dabei um die Tafel für Wilhelm Wolf, der in Russland gefallen war. Für die Gestaltung der Tafeln, sowie für die Feier erhielten die Gemeinden genaue Vorgaben.

Im Sindelfinger Stadtarchiv befinden sich Pläne und Fotos der Feier 1942. Für die Dekoration wurden 58 m Lorbeer-Girlanden in Gold verwendet. Die Anwesenheit bei der Feier war für die NS-Gruppierungen, wie z.B. die Frauenschaft, verpflichtend.

Die Feiern in den Städten und Gemeinden wurden bewusst auf 15 Uhr gelegt, da bereits um 12 Uhr in Berlin die zentrale Veranstaltung mit Adolf Hitler stattfand. Diese wurde im Radio übertragen und zählte zum Pflichtprogramm. Der Ablauf war landesweit sehr ähnlich. Zur Eröffnung wurde ein dramatisches Musikstück, meist von Streichern, vorgetragen. In Sindelfingen folgten dann die Männerchöre des Liederkranz und des VfL. Anschließend wurden Teile der Rede von Adolf Hitler wiederholt, Weitere Musikstücke und Reden von Ortsgruppenleitern und Ortsgruppenführen folgten. Während das Lied „vom guten Kameraden“ leise erklang wurden die Namen der Gefallenen und Vermissten verlesen. Nach dem Gelöbnis, sich für den Sieg einzusetzen, wurden die „Nationallieder“ gesungen und mit dem Fahnenausmarsch endete die Veranstaltung im Saal. Am Kriegerdenkmal legte die Ortsgruppe einen Kranz nieder.

Im März 1942 war auch in Sindelfingen ersichtlich, dass im weiteren Kriegsverlauf mit immer mehr Opfern zu rechnen ist. Daher erteilte Bürgermeister Pfitzer dem Stadtbauamt die Aufgabe, auf dem Friedhof das „Ehrenfeld…für die Beerdigung von Kriegsteilnehmern … raschestens“ zu erweitern. „Wenn in der nächsten Zeit Kriegsopfer beerdigt werden sollen, kommen wir geradezu in Verlegenheit.“ 

Text: Illja Widmann

Heldengedenkfeier 15.3.1942; Foto: Stadtarchiv Sindelfingen
Heldengedenkfeier 15.3.1942; Foto: Stadtarchiv Sindelfingen

Februar 2022 – Februar 1942 "Schließung der Schulen"

Im Februar 1942 litt die Bevölkerung nicht nur in Württemberg unter dem dritten extrem kalten Winter in Folge. Im Januar 1942 wurde in München mit Minus 30,5 Grad die kälteste jemals gemessene Temperatur in der Stadt erreicht. Die Wintermonate von 1939 bis 1942 zählen zu den kältesten Wintern in Deutschland seit Beginn der Wetteraufzeichnung 1881. Neben der Kälte erschwerten auch starke Schneefälle den Alltag.

Kriegsbedingt wurde in den Zeitungen über diese Erschwernisse des täglichen Lebens jedoch nicht berichtet. So wie grundsätzlich keine Wetterberichte veröffentlicht wurden, um Feinden keine Informationen zu liefern. Im Gemeinderatsprotokoll vom 19. Februar 1942 ist unter § 25 Verschiedenes lediglich Folgendes zu erfahren: „Aussprachen erfolgen noch über die durch den ausserordentlichen Schneefall eingeleiteten Massnahmen zur Schneebeseitigung.“ 

Am selben Tag nahmen die Ratsherren „…von der Mitteilung Kenntnis, dass auf Anordnung der Gauleitung der N.S.D.A.P. die Schulen allgemein zu schliessen sind und dass hier diese Massnahme durchgeführt ist mit der Ausnahme, dass der Betrieb der gewerblichen Berufsschule mit Webschulabteilung und der Frauenarbeitsschule weitergeführt werde.“ Dabei wurde jedoch nicht erwähnt, dass die Schulen aufgrund von Kohlemangel geschlossen werden mussten. Am 10. Februar 1942 wurden die Bürgermeister und Schulleiter im Kreis Böblingen vom Kreisleiter wie folgt informiert: In Anbetracht der anhaltenden Kälte und damit verbunden der Schwierigkeiten in der Kohlenversorgung bin ich leider gezwungen, die Schliessung aller Schulen, mit Ausnahme der unten erwähnten, bis auf weiteres anzuordnen. Der Herr Landrat ist damit einverstanden. Es können weiterhin geöffnet bleiben:  Die Maturitäts-Klasse der Oberschule in Böblingen… Die Frauenarbeitsschulen, soweit die Gemeinden dies verantworten können…“

Privathaushalte und Industriebetriebe wurden aufgefordert Kohle zu sparen. Die Menschen sollten nur soweit es dringend erforderlich war heizen und kochen. Aufgrund der schwierigen Witterungsbedingungen kam es zum Beispiel in Stuttgart zusätzlich zu Engpässen bei der Kohlelieferung. Hier waren die Schulen bereits Ende Januar geschlossen und der Bus- und Bahnverkehr stark eingeschränkt – neben Kraftstoff fehlten kriegsbedingt auch Schaffner und Fahrer.

Die Bevölkerung erfuhr im Januar 1942 eine Reihe weiterer Einschränkungen: Ab 1. Februar wurde Tabak rationiert und die „Raucherkontrollkarte“ für Männer ab 18 Jahre und Frauen ab 25 Jahre eingeführt. Da der Erhalt der Tabakkarte an die Ausgabe der Dritten Reichskleiderkarte gebunden war, konnten auf diese Weise Juden und weitere Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen werden. Am 9. Februar erfolgte das Verbot privater Fahrten mit dem Auto. Das Fahrzeug durfte nur zu „kriegs- und lebenswichtigen Aufgaben“ betrieben werden. Alle anderen Fahrten wurden verboten. Am 19. Februar gab es eine weitere große Einschränkung: „Unnötige Reisen müssen unterbleiben…Der Staatssekretär für Fremdenverkehr gibt bekannt: Im Hinblick auf die dauernde Überfüllung der D-Züge wird eindringlich davor gewarnt, Reisen ohne zwingenden Grund zu unternehmen…Der Platz in den Fremdenverkehrsorten und vor allem auf der Eisenbahn gehört den Soldaten und den Volksgenossen, die mit kriegswichtiger Arbeit beschäftigt sind.“ (NS-Kurier)

Insgesamt zeigten sich in immer stärkerem Maße die Einschränkungen im Alltag auch in Sindelfingen. Sie hatten Auswirkungen auf viele Lebensbereiche und waren ideologisch durchdrungen. Verzicht gehörte zum „Pflichtprogramm“ der NS-Herrschaft.

Schulranzen im Stadtmuseum Foto: Stadtmuseum Sindelfingen
Schulranzen im Stadtmuseum Foto: Stadtmuseum Sindelfingen

Januar 2022 – Januar 1942 "Glocken für den „Endsieg“"

„Ablieferungen: Glocken am 8./9. Januar 1942 bei 21 Grad Kälte. Abschied im Jahresabschlussgottesdienst. Die größte Glocke belassen, die übrigen 4 abgeliefert. Freiwillige Ablieferung von Metallgegenständen: 1 Opferschale, 5 Kannen, 2 Opferbüchsen mit Überdachung. Orgelpfeifen bisher nicht abgeholt.“

Mit diesen nüchternen Worten beschreibt Stadtpfarrer Otto Fischer in seinem Pfarrbericht, der alle 4 Jahre erstellt werden musste, im Sommer 1944 die Abnahme der Glocken der Martinskirche zweieinhalb Jahr zuvor.

Für viele Gemeindemitglieder und alteingesessene Sindelfinger*innen war dieser Vorgang sicherlich mit vielen Emotionen verbunden, und bei vielen musste die Glockenablieferung Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg wecken. Denn bereits 1917 wurde das Geläut der Martinskirche bis auf eine Glocke abgenommen und zur Metallgewinnung für Kriegszwecke abtransportiert. Erst 1920 erhielt die Martinskirche neue Glocken. Diesen widerfuhr nun im Zweiten Weltkrieg das gleiche Schicksal.

Mit Runderlass vom 14.11.1941 hatte das Reichsinnenministerium die „Abnahme der Bronzeglocken im Reich“ verfügt. Organisatorisch wurde diese Maßnahme in die Verantwortung der Landräte und der Kreishandwerksmeister gegeben.

Im Amtsblatt der evangelischen Landeskirche in Württemberg wird mit Erlass vom 26.November 1941 die Glockenabnahme kirchlicherseits geregelt. Dabei fällt auf, dass auf eine staatliche Entschädigung erst nach dem Krieg verwiesen wird. Offensichtlich ist man noch im Dezember 1941 unerschütterlich vom „Endsieg“ überzeugt.

Auch wird darauf hingewiesen, dass „der Zeitpunkt der Glockenabnahme neuerdings in einer Reihe von Fällen den Kirchengemeinden nicht bekannt wurde.“ In Sindelfingen belegt der von Pfarrer Fischer erwähnte „Abschiedsgottesdienst“, dass das Datum der Glockenabnahme hier bereits Ende 1941 bekannt war. Anfang Januar 1942 wurden dann im gesamten Kreis Böblingen Abnahme und Abtransport der Glocken durchgeführt. Ebenso wie im Ersten Weltkrieg verblieb in Sindelfingen auch diesmal die größte Glocke mit der Inschrift „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit“ im Turm.

Neben den Kirchenglocken betraf der Erlass zur Abnahme der Bronzeglocken auch andere, kleinere Glocken. Aus den städtischen Unterlagen geht hervor, dass am 5.Januar 1942 zwei Glocken vom Rathaus (heutige Galerie), zwei von der Volksschule (heutiges Gustav-Heinemann-Haus) und eine vom Alten Rathaus (heutiges Stadtmuseum) mit einem Gesamtgewicht von 295 kg beschlagnahmt und abgenommen wurden.

Seit 1950 wurde der Turm der Martinskirche sukzessive mit neuen Glocken bestückt. Dabei wurde auch die einzige Glocke, die den Krieg überlebt hatte, ausgetauscht, weil ihr Klang nicht mehr mit dem neuen Geläut harmonierte.

Foto: Abtransport der Glocken aus der Böblinger Stadtkirche am 13.1.1942. Stadtarchiv Böblingen, Marta Baumann
Foto: Abtransport der Glocken aus der Böblinger Stadtkirche am 13.1.1942. Stadtarchiv Böblingen, Marta Baumann

Dezember 1941 – Dezember 2021 „Russische Birkenrinde zu Weihnachten“

Vor Moskau 1941 - Herzlichen Weihnachtsgruss von der Ostfront sendet Papa“.

Diese Weihnachtskarte, geschrieben auf einem Stück Birkenrinde erhielt eine unbekannte Sindelfinger Familie zum Weihnachtsfest 1941. Die Birke ist ein weitverbreiteter Baum in Russland, der vielfältig genutzt werden konnte. Schon in früher Zeit wurde die Rinde als Beschreibstoff verwendet und bereits im Ersten Weltkrieg wurden Postkarten aus Birkenrinde verschickt.

Im Dezember 1941 mussten auch die Menschen in Sindelfingen nun schon das dritte Kriegsweihnachten begehen. Sie sorgten sich um ihre Angehörigen in fernen Ländern und bemühten sich, ihnen Päckchen und Briefe zukommen zu lassen. Auch die Alterskameradinnen des Jahrgangs 1901 waren fleißig. So wurden am 10. November „Lebkuchen u. Himbeerbrötchen gebacken“, die dann zusammen mit Schnaps, Bonbon, 14 Paar Landjägern, Zigaretten, Rasierklingen, Papier und Feldpostschachteln in elf Feldpostpäckchen verschickt wurden.

An der „Heimatfront“ gab es vielfältige Sammlungen, wie u.a. Aufrufe in der NS-Kreiszeitung vom 27. Dezember 1941 zeigen: „Niemand darf zurückstehen; denn dieser Kampf, der uns aufgezwungen wurde, muß auch von der Heimat geführt werden. Wir haben in unserer Haltung genauso soldatisch wie die Wehrmacht zu sein.“

Im Dezember 1941 stand die Wehrmacht vor den Toren von Moskau. Die Siegesgewissheit der Soldaten vor Ort war jedoch der bitteren Realität des russischen Winters gewichen. Es gab Transport- und Nachschubprobleme, so fehlten nicht nur Waffen und Munition, sondern auch warme Kleidung und Nahrungsmittel. Der Feldzug begann am 22. Juni 1941 mit dem Überfall auf die Sowjetunion. Ziel war ein Vernichtungskrieg gegen den „jüdischen Bolschewismus“. So sollte neuer „Lebensraum“ erobert und neue Gebiete ausgebeutet werden. Das Vordringen der deutschen Truppen in den Osten wurde von schlimmsten Verbrechen der „Einsatzgruppen“ begleitet. Es kam zu Pogromen an der jüdischen Bevölkerung, an Sinti und Roma, Ermordungen von Kriegsgefangenen und Kommunisten.

Die schlechte Versorgungslage der deutschen Soldaten im Osten zeigte sich deutlich im Aufruf von Goebbels am 21. Dezember: „Gebt Winterkleidung für unsere Soldaten!... Als Geschenk aller deutschen Volksgenossen an die Front…“.  Der Aufruf wurde ergänzt von einem „Geleitwort des Führers“: „Deutsches Volk!... Während…die deutsche Heimat vom Feinde unbedroht ist, stehen Millionen unserer Soldaten…gegen einen zahlen- und materialmäßig weit überlegenen Feind an der Front.“ Tatsächlich stand es schlecht um die deutschen Truppen an der Ostfront. Die Vorstellung, gegen die Sowjetunion einen ähnlichen „Blitzsieg“ zu erringen wie gegen Frankreich war gescheitert. Der Wehrmacht standen in Moskau 34 winter-erprobte russische Divisionen gegenüber. Mehrere deutsche Generäle verweigerten sich Hitlers „Haltebefehl“ an der Front und wurden daraufhin durch hitlertreue Befehlshaber ersetzt.

Text von Illja Widmann

Weihnachtskarte von 1941 Foto: Stadtmuseum Sindelfingen
Weihnachtskarte von 1941 Foto: Stadtmuseum Sindelfingen

November 1941 - November 2021 "Licht lockt Bomben!"

Im November 1941 wurde in der NS-Kreiszeitung, der damaligen Tageszeitung, mehrfach auf die große Bedeutung von Maßnahmen zur Verdunkelung hingewiesen. Mit Fortdauer des Krieges nahm die Gefahr der Luftangriffe auf Sindelfingen zu. Bereits im August 1941 fielen erste Bomben auf die Gemarkung, ohne jedoch Schäden zu verursachen. Im folgenden Herbst wurde die Bevölkerung nun deutlich aufgefordert, in der dunklen Jahreszeit für eine korrekte Verdunkelung zu sorgen.

Am 18.11.1941 gab es in der Zeitung „Eine ernste Mahnung…für einen solchen Landesverräter“ der den feindlichen Fliegern „mit Lichtsignalen die gesuchten Ziele zeigt“. Die Todesstrafe wurde dabei „als milde Sühne“ für diese Personen bezeichnet. Einen Tag später titelte die Zeitung mit „Tödliches Licht“: „Wer schlecht verdunkelt, reißt ein Loch in die Tarndecke der Dunkelheit“.

Trotz Kontrollen der Verdunkelung erfolgten immer noch Beanstandungen und so erfahren wir von einem radikalen Schritt, um die Bevölkerung deutlich zu ermahnen. Am 22.11.1941 berichtete die NS-Kreiszeitung: „Die Sindelfinger machen ernst“. In Zukunft werde auf Anordnung des örtlichen Polizeiverwalters an Häusern, in denen wiederholt gegen die Verdunkelung verstoßen wurde, sogenannte „Rügezettel“ angebracht. Diese waren von der Straße aus gut sichtbar und durften erst wieder entfernt werden, wenn alle Beanstandungen beseitigt waren. „Wenn Du daher wegen schlechter Verdunkelung in der Oeffentlichkeit nicht angeprangert werden willst, so sorge in Zukunft, daß die Verdunkelung jederzeit einwandfrei durchgeführt wird.“ 

Offenbar ließen die negativen Reaktionen aus der Bevölkerung nicht lange auf sich warten. So wurde zwei Tage später ergänzt: „Die Sindelfinger können beruhigt sein…die Rügezettel für Verdunkelungssünder werden nicht nur in Sindelfingen, sondern überall im Reich angeklebt.“ – welch eine Beruhigung!

Am 27.11.1941 erschien ein Appell des Reichsnährstandes unter dem Titel „Licht lockt Bomben“. Hier wurde vor allem darauf hingewiesen, dass auch die Bevölkerung auf dem Land bei der Verdunkelung sorgfältig agieren müsse.

Ein potentiell besonders gefährdetes Ziel war die Daimler-Benz Fabrik. Um eine Bombardierung aus der Luft zu vermeiden, hatte das Luftgaukommando VII München im September 1941 dem Werk Sindelfingen den Bau einer Vernebelungsanlage angeordnet. Für die Anlage wurden 150 Geräten in einem größeren Bereich um das Werk herum aufgestellt. Damit waren auch Grundstücke von Privatpersonen betroffen. Bereits am 13.11.1941 reichte der Landwirt David Traub einen Antrag auf Entschädigung ein, da bei der Inbetriebnahme der Vernebelungsanlage seine Zuckerrüben-Ernte zerstört wurde. Die Anlage versprühte Nebelsäure, die u.a. Schwefelsäure enthielt. In der Folgezeit kam es immer häufiger zu Schäden an Pflanzen, Bäumen und zerstörten Ernten.

Die immer drängenderen Aufforderungen zur Verdunkelung und weitere Maßnahmen des Luftschutzes zeigten der Bevölkerung nun deutlich, dass offenbar mit verstärkten Luftangriffen zu rechnen war. Dies stand im Gegensatz zu den „Siegesnachrichten“, die zeitgleich in der Zeitung verkündet wurden.

Text von Illja Widmann

Foto: Stadtarchiv Sindelfingen; NS-Kreiszeitung vom 18.11.1941
Foto: Stadtarchiv Sindelfingen; NS-Kreiszeitung vom 18.11.1941
Foto: Stadtarchiv Sindelfingen; NS-Kreiszeitung vom 22.11.1941
Foto: Stadtarchiv Sindelfingen; NS-Kreiszeitung vom 22.11.1941

Oktober 1941 – Oktober 2021 „Alle Mann wurden von Mutter … bekocht …"

Bereits im Ersten Weltkrieg kamen in Sindelfingen Kriegsgefangene als Arbeitskräfte zum Einsatz. Gegenüber dem massenhaften Einsatz von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg war dies aber nur ein leises Vorspiel. Weit über 3000 Menschen aus verschiedensten Ländern Europas wurden zwischen 1940 und 1945 zur Arbeit in Sindelfingen gezwungen. Die allermeisten waren zur Rüstungsproduktion im Daimler-Benz-Werk eingesetzt – davon wird an anderer Stelle in dieser Reihe noch zu berichten sein. Es gab aber auch zahlreiche ausländische Arbeiter in der Landwirtschaft und in kleineren Sindelfinger Betrieben. Dort waren die Arbeits- und Lebensbedingungen im Allgemeinen etwas erträglicher als im großen Werk.

Bereits im September 1940 waren nach dem deutschen Sieg über Frankreich dem Sindelfinger Baugeschäft Alfred Keppler 10 französische Kriegsgefangene zugeteilt worden. Bald hatte sich offensichtlich zwischen den Familienangehörigen und den Kriegsgefangenen ein menschlicher Umgang entwickelt, wie Charlotte, die Tochter des Bauunternehmers, in ihren Erinnerungen festhält: „Inzwischen wurden Fremdarbeiter im Hof untergebracht, die meisten waren französische Kriegsgefangene. Alle Mann wurden von Mutter und Manne [Charlottes Schwester Marianne] bekocht, die Wäsche gemacht …“

Den staatlichen Stellen und den Funktionären der NSDAP war der freundliche Umgang zwischen Einheimischen und ausländischen Arbeitern ein Dorn im Auge, kamen dadurch doch die von der NS-Propaganda entworfenen Feindbilder ins Wanken. So sah sich beispielsweise NSDAP-Ortsgruppenleiter Kohler in der Gemeinderatssitzung vom 21.08.1941 zu folgenden Ausführungen genötigt: „Ratsherr Kohler bemerkt, es sei ihm in letzter Zeit wiederholt aufgefallen, dass zwischen Kriegsgefangenen und der hiesigen Bevölkerung, vor allen Dingen mit einzelnen Frauen, ein durchaus kameradschaftliches Verhältnis herrsche. Er werde künftig mit allen Mitteln der Partei gegen solche Vorkommnisse einschreiten und bittet den Bürgermeister auch von sich aus das Erforderliche zu veranlassen.“

In die gleiche Richtung zielt ein Rundschreiben des württembergischen Innenministeriums vom Dezember 1941, in dem es im Hinblick auf das bevorstehende Weihnachtsfest heißt: „Nach den Erfahrungen im vergangenen Jahr ist damit zu rechnen, daß bei den bevorstehenden Weihnachtsfeiertagen und der Jahreswende der erforderliche Abstand zu Kriegsgefangenen und ausländischen Zivilarbeitern von den Arbeitgebern und der übrigen Bevölkerung nicht eingehalten wird. Dies muß unter allen Umständen verhindert werden. Es ist eines Deutschen unwürdig, Kriegsgefangenen und ausländischen Zivilarbeitern Geschenke auch unbedeutendster Art zu machen.“

Bis März 1945 blieb der größte Teil der französischen Kriegsgefangenen bei der Baufirma Keppler und die Berichte aus der Familie lassen auf einen respektvollen und menschlichen Umgang miteinander schließen. Darauf weist auch die Tatsache hin, dass es nach Ende des Krieges noch länger Kontakt zu einigen der bei der Firma untergebrachten Franzosen gab. Es ist tröstlich wahrzunehmen, dass der totalitäre Staat Menschlichkeit eben doch nicht immer unterbinden konnte.
 
Text von Horst Zecha

Foto: Stadtmuseum Sindelfingen Im Herbst 1940 wurde der Baufirma Keppler eine Arbeitskolonne mit 10 französischen Kriegsgefangenen zugewiesen.
Foto: Stadtmuseum Sindelfingen; Im Herbst 1940 wurde der Baufirma Keppler eine Arbeitskolonne mit 10 französischen Kriegsgefangenen zugewiesen.

September 1941 – September 2021 „Eine neue Zeitung für Sindelfingen"

„An unsere geschätzten Leser! Die Kriegswirtschaft verlangt stärkste Konzentration aller Kräfte. Persönliche Wünsche und alte Traditionen treten zurück, um den Erfordernissen unserer Zeit gerecht zu werden…“ Mit diesen Worten gab der Verleger Adolf Röhm am 23. August 1941 seiner Leserschaft bekannt, dass die Sindelfinger Zeitung zu Ende des Monats ihr Erscheinen einstellen werde.
 
Am 1. September erschien in Sindelfingen die neue NS-Kreiszeitung als „amtliches Organ der Partei und Behörden des Kreises Böblingen und der Fildergemeinden“.
 
Die Kontrolle über die Presse war ein wichtiger Stützpfeiler der NS-Herrschaft. Bereits 1933 wurde mit der Machtübernahme die Pressefreiheit abgeschafft. Das am 1. Januar 1934 in Kraft getretene Schriftleitergesetz führte zum faktischen Berufsverbot von mehr als 1.000 Journalisten. Joseph Goebbels war Reichspropagandaleiter sowie Präsident der Reichskulturkammer (RKK) und herrschte somit über alle Bereiche, die die Presse betrafen. Journalisten (neu: Schriftleiter) waren nun nicht mehr dem Verleger verpflichtet, sondern über mehrere Stufen der „RKK“.
 
Bis in die 1940er Jahre hinein existierten noch einige Lokalzeitungen, die jedoch immer mehr unter Druck gerieten. Am 1. September 1941 löste die NS-Zeitung sowohl die Sindelfinger Zeitung, als auch den Gäuboten und die Filderzeitung ab. Ernst Altenmüller (NS-Kreisleiter): „Damit hört der fast unhaltbare Zustand auf, daß vier Zeitungen nebeneinander bestehen. Hier konnte nicht von einem gesunden Konkurrenzkampf gesprochen werden, - das war schon Zersplitterung… Zusammenschluß und gemeinsame Arbeit ist der Ruf der Zeit. Diese Ziele dürfen nicht halt machen vor kleinlichen Privatinteressen. Befindet sich ein Volk in seinem Existenzkampf…, dann ist es Gebot der Stunde, alles aufzubieten, damit die Einheit und dadurch die Stoßfähigkeit garantiert sind.“
 
Wie stand nun die Gemeinde zur Auflösung der 50 Jahre alten Sindelfinger Zeitung? In der Sitzung des Gemeinderats am 18. September 1941 betonte Bürgermeister Pfitzer deutlich, dass er nicht einverstanden ist, dass „…durch den Willen des Unternehmers…hier fertige Tatsachen geschaffen worden seien.“ Die Mitglieder des Gemeinderats waren ebenfalls nicht überzeugt, zumal die Bürger sich unter anderem über den höheren Preis beschwerten. Die Aussage von Bürgermeister Pfitzer vermittelt dabei den Eindruck einer Entscheidungsfreiheit des Verlegers Adolf Röhm. Sieht man sich jedoch die Entwicklung im NS-Staat mit der Kontrolle aller Lebensbereiche an, so zeigt sich, dass die noch bestehenden kleinen Verlage, diesem Druck wohl nicht standhalten konnten.
 
In einem Interview 1990 betonte Werner Röhm, der Sohn des Verlegers, den Druck der örtlichen NS-Funktionäre auf seinen Vater, der von ihnen „als politisch unzuverlässig eingestuft wurde“ und man dem Verlag daher „die amtlichen Bekanntmachungen entzog.“ Ende August 1941 gab die Familie laut eigener Aussage den Kampf um die Zeitung auf: „wir waren zermürbt“.
 
Text von Illja Widmann


Mit dieser Anzeige informierte der Verleger Adolf Röhm seine Leserschaft über die bevorstehende Auflösung seiner Zeitung. Sindelfinger Zeitung 23.8.1941
Mit dieser Anzeige informierte der Verleger Adolf Röhm seine Leserschaft über die bevorstehende Auflösung seiner Zeitung. Sindelfinger Zeitung 23.8.1941

August 2021 – August 1941 "Sterben an der Ostfront und Kriegspropaganda"

Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 erreichte der Zweite Weltkrieg eine neue Dimension, nicht nur was die geografische Ausdehnung, sondern vor allem auch was die Anzahl der Opfer anbetrifft. Dies spiegelt sich unter anderem auch in den Opferzahlen wider, die Sindelfingen zu beklagen hatte. Sind in dem 1955 veröffentlichten Gedenkbüchlein „Die Gefallen und Vermissten der Stadt Sindelfingen im Weltkrieg 1939-1945“ für die Jahre 1939 und 1940 zusammen 12 Gefallene vermerkt, so sind es allein im Jahr 1941 bereits 39. Die allermeisten von ihnen sind im Krieg gegen die Sowjetunion umgekommen.

Spätestens im August 1941 war klar, dass der von Hitler und seinen Wehrmachtsgenerälen geplante schnelle siegreiche Feldzug eine Illusion war. Dennoch überbot sich die offizielle Propaganda mit Erfolgsmeldungen und beschwor die Unbesiegbarkeit der deutschen Truppen. Aber auch in Todesanzeigen, Benachrichtigungen an die Familien Gefallener und in privaten Ausführungen finden wir eine für uns heute nur noch schwer erträgliche Heroisierung des Krieges und des Todes. Zum einen wird deutlich, wie weit die NS-Ideologie bereits in die Gedanken- und Gefühlswelt der Menschen eingedrungen war, zum anderen ist es manchmal wohl auch der verzweifelte Versuch, dem Sterben eines geliebten Menschen einen Sinn zu geben.

So heißt es beispielsweise in der Nachricht des Kompanieführers an die Sindelfingen Familie Leonhardt zum Tod ihres Sohnes Hermann am 27. August 1941: „Er ist also als tapferer aufrechter deutscher Soldat mitten im Vorwärtsstürmen gefallen, Auge in Auge mit dem Feind. (…) Möge die Gewissheit, dass Ihr Sohn sein Leben für den Führer und für die Größe und den Bestand von Volk und Reich dahingegeben hat, ihnen ein Trost sein in dem schweren Leid, das Sie betroffen hat.“

Ebenfalls im August 1941 verlor der Magstadter Paul Schmid sein Leben an der Ostfront. Seinen Tod kommentierte ein ehemaliger Mitschüler im Rundbuch der ehemaligen Adolf-Hitler-Oberschule, heute Goldberg-Gymnasium (dem sich die Serie an anderer Stelle noch ausführlicher widmen wird) mit den Worten: „Als Dritter aus der Reihe unserer Kameraden gab Paul Schmidt sein junges Leben für Deutschlands Größe, für unsere Zukunft!“

Wie weit selbst Vertreter der christlichen Kirchen vollständig in Sprache und Gedankengut der NS-Ideologie aufgingen, macht das Schreiben eines Kriegspfarrers deutlich, der der Sindelfinger Familie Brändle am 15. August 1941 über den Tod ihres Sohnes Karl berichtete und dabei seine Ausführungen anlässlich der Beisetzung wiedergab. Selbst biblische Aussagen wurden hier im Sinne der Propaganda bis zur Unkenntlichkeit umgedeutet: „Unser keiner lebt sich selber! Das haben wir Soldaten in diesen Jahren in Wahrheit erfahren, die wir kämpfend durch die europäischen Lande gezogen sind. Nie hatten wir Zeit für die persönlichen Dinge in der Heimat, alles wurde eingesetzt für des Vaterlandes Ehre und Grösse. Diese Toten gaben sogar das Leben dafür. So etwas lässt sich nur verantworten, wenn es sich um Aufgaben handelt, die uns vom Hergott selber in dieser Welt gestellt sind. Dann wird auch dies war: unser keiner lebt sich selber; leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn.“

Wir können nicht wissen, ob diese Ausführungen der Familie des Gefallenen tatsächlich Trost gewesen sind, oder ob sie der Missbrauch biblischer Botschaft zu Zwecken der Kriegspropaganda eher angewidert haben mag.

(Text Horst Zecha)

Die Vitrine im Eingangsbereich des Stadtmuseums ist ab dem 26.8. zu sehen. 

Klassenrundbuch Adolf-Hitler-Oberschule (Goldberg-Gymnasium) des Abiturjahrgangs 1939, Stadtarchiv Sindelfingen; „Als dritter aus der Reihe unsrer Kameraden gab Paul Schmidt sein junges Leben für Deutschlands Größe, für unsre Zukunft!“

Juli 2021 – Juli 1941 „Bereinigung des Viehverteilerstandes“

Am 10. Juli 1941 finden wir im Protokoll der Gemeinderatssitzung folgenden Eintrag:
„Der Bürgermeister berichtet, dass seine Bemühungen, den Juden Ullmann nach auswärts abzuschieben, an der ablehnenden Stellungnahme des Bürgermeisters in Haigerloch gescheitert seien; er werde nun versuchen, die hier wohnende Judenfamilie in dem Nebengebäude des Juden unterzubringen, um das Hauptgebäude zur besseren Ausnützung für den Wohnungsmarkt frei zu bekommen.(…)“
Diese Vorgehensweise war ein weiteres Glied in einer langen Kette von Repressalien, die die in Sindelfingen ansässige Familie Ullmann bereits seit längerer Zeit zu erleiden hatte. Was der Familie widerfuhr, spiegelt die nationalsozialistische Ideologie und ihre Folgen auf lokaler Ebene wider. Hitler hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass es ihm letztendlich um die Auslöschung jeglichen jüdischen Lebens im nationalsozialistischen Herrschaftsbereich ging. Mit der Machtübernahme 1933 wurde diese Ideologie ebenso konsequent wie brutal in die Tat umgesetzt – auch in Sindelfingen.
Die Viehhandlung der Gebrüder Ullmann ist seit 1912 in den städtischen Unterlagen nachweisbar.1923 kauften die aus Haigerloch stammenden Ullmanns das Haus- und Stallgebäude Obere Vorstadt 1, um das es auch im obigen Gemeinderatsprotokoll ging. Siegfried und Sigmund Ullmann führten gemeinsam die Viehhandlung, insgesamt waren 1933 acht Familienmitglieder in Sindelfingen ansässig. 1935 verzog Sigmund Ullmann mit seiner Familie nach Stuttgart; dass er seine Kinder Edith und Helmut bald darauf in die USA schickte, macht deutlich, dass sich auch die Ullmanns der zunehmenden Gefahr im nationalsozialistischen Deutschland durchaus bewusst waren.
Zunächst erfolgte die wirtschaftliche Vernichtung und die gesellschaftliche Ächtung. So informiert Bürgermeister Pfitzer die Ratsherren in der Gemeinderatssitzung vom April 1938, dass er Juden den Zutritt zu den Sindelfingen Viehmärkten verbieten wolle. Vorausgegangen war ein Schriftwechsel mit der Kreisbauernschaft Schönbuch, die Pfitzer unter der Überschrift „Bereinigung des Viehverteilerstandes“ aufforderte, belastendes Material über die Viehhandlung Ullmann zu liefern, um ein Berufsverbot aussprechen zu können. Dazu sah sich der Bürgermeister nicht in der Lage, fügte aber in seinem Antwortschreiben an: „Trotzdem halte ich es für erforderlich, dass die Juden aus dem Viehverteilerstand ausgeschlossen werden.“ Tatsächlich wurde dann mit der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ vom 12.11.1938 Juden die Ausübung von Handwerksberufen und der Besuch von Märkten verboten.
Auch wenn die Reichspogromnacht vom November 1938 in Sindelfingen keine unmittelbaren Auswirkungen hatte, wurde doch spätestens jetzt auch den in Sindelfingen verbliebenen Mitgliedern der Familie Ullmann klar, dass ihr Leben in Deutschland zunehmend in Gefahr geriet. Vermutlich beschäftigten sie sich mit Auswanderungsplänen, denn im Dezember 1938 boten sie ihr Haus in der Wurmbergstraße der Stadt zum Kauf an. Bei der Besprechung des Themas im Gemeinderat wird deutlich, dass die Tage der Ullmanns in Sindelfingen gezählt waren: „Da ferner damit zu rechnen ist, dass auch das den Gebr. Ullmann gehörige Grundstück Geb. Nr.1 Obere Vorstadt zum Verkauf kommt, regt der Bürgermeister an, auch dieses Gebäude u.U. für die Stadt zu erwerben…“
Wegen Preisdifferenzen kamen die Grundstückskäufe letztendlich nicht zustande. Für die Ullmanns zerschlug sich damit womöglich die letzte Möglichkeit einer Flucht ins Ausland. Über das weitere Schicksal der Familie, das für fast alle in den Vernichtungslagern endete, wird an anderer Stelle in dieser Serie nochmals berichtet.
(Text: Horst Zecha)

Brief der Kreisbauernschaft Schönbuch vom 2. Dezember 1937. Der Familie Ullmann konnte keine „unsaubere Handlungsweise“ nachgewiesen werden. Im November 1938 wurde eine allgemeine Verordnung erlassen, in der Juden die Ausübung von Handwerksberufen und der Besuch von Märkten verboten wurde. 
Obere Vorstadt 1 um 1910 (Gebäude links) Die Familie Ullmann hatte 1923 das Wohn- und Stallgebäude gekauft. Der gesamte Gebäudekomplex wurde später für den Bau des Domo abgerissen.
Obere Vorstadt 1 und 3 im September 1959

Juni 2021 – Juni 1941 „Verborgene Schönheit“

Die Sindelfinger Zeitung startete im Frühjar 1941 die Aktion: Parole: „Sindelfingen muss schöner werden !“ Im Mittelpunkt stand das „Fachwerk – Zeuge der Kraft und Schönheit“. Ganz im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie wurde die Fachwerktechnik als Ausdruck „echter deutscher Manneskraft“ interpretiert, die es nun galt wieder ans Tageslicht zu holen.
Die Kampagne richtete sich an Besitzer von Fachwerkhäusern, die aufgerufen waren ihre Gebäude vom „hässlichen grauen Verputz“ zu befreien. Vor allem im Vergleich mit anderen Städten sollten sich die Sindelfinger anstrengen. „Auch die Sinne der Bevölkerung werden letzten Endes so, wie ihre Häuser sind…Denkt an die Ehre eurer Stadt.“ Sollte das als Argument nicht genügen, so betont die Zeitung abschließend „Keiner sage, das gehe ihn nichts an…Nein auch die Volksgemeinschaft hat ein Interesse daran, daß die Stadt schöner wird, und gerade hier kann sich jetzt diese Volksgemeinschaft beweisen.“ Die Bevölkerung wurde somit moralisch unter Druck gesetzt. Zumal die Aktion mit dem Hinweis auf heimkehrende Soldaten verbunden wurde, für sie „soll die Stadt schön und sauber sein“. Auch an der „Heimatfront“ waren also die Menschen verpflichtet, ihren Anteil zu leisten und die Stadt würde dies selbstverständlich unterstützen.
Inwiefern die Sindelfinger „Häuslesbesitzer“ von dem Aufruf beeindruckt waren, ist nicht klar. Die Kampagne war jedoch wohl nicht mit der Stadtverwaltung abgestimmt, so zumindest lassen es die vorhandenen Akten vermuten. Der Gemeinderat fasste erst am 12. Juni den Beschluss, die Hausbesitzer mit finanziellen Mitteln bei der Freilegung des Fachwerks zu unterstützen. Dabei wurde betont, dass die eigentlich erforderliche Ölfarbe gar nicht erhältlich ist und somit durch andere Farben ersetzt werden muss. Im Gemeinderatsprotokoll ist eine gewisse Zurückhaltung des Bürgermeisters und Gemeinderats zu spüren, auch die ideologisch verbrämte Bedeutung des Fachwerkhauses findet sich hier nicht wieder.
Eines der Häuser, dessen Fassaden-Freilegung aufgrund des Beschlusses im Juni 1941 finanziell unterstützt wurde, stand in der Ziegelstraße 12. Es stammte wohl aus dem 16. Jahrhundert und gehörte zu den denkmalgeschützten Häusern. Am 10. September 1944 wurde das Gebäude bei einem Fliegerangriff auf Sindelfingen zerstört und ist nicht mehr erhalten.
In Anbetracht des deutschen Einmarsches in der Sowjetunion am 22. Juni 1941 rückte die Frage, ob in Sindelfingen ein Fachwerkhaus verputzt war oder nicht, rasch in den Hintergrund. Der Krieg schien plötzlich wieder sehr nahe zu sein, es wurde umgehend ein Tanzverbot erlassen und der Reichsluftschutzbund organisierte Vorführungen zur Bekämpfung von Brandbomben.
 
(Text Illja Widmann)

Foto: Strähle, Repro Stadtarchiv Sindelfingen. Das Haus Ziegelstraße 12 mit freigelegtem Fachwerk, vor der Zerstörung 1944. Im Zuge der Kampagne zur Freilegung von Fachwerkfassaden wurden den Hausbesitzern ein Unterstützungsbetrag von 250 RM zugesagt.Die Besitzer hatten bereits 1939 um Unterstützung für eine Sanierung des denkmalgeschützten Hauses ersucht. Damals gewährte die Stadt lediglich eine Unterstützung von 50 RM und das Gebäude wurde als eher wenig schützenswert eingestuft.

Artikel der Sindelfinger Zeitung vom 24.04.1941 (395,9 KiB)

Mai 2021 – Mai 1941 "Muttertag und Mutterkreuz"

Am Sonntag, den 18. Mai 1941 wurde im Filmtheater in Sindelfingen feierlich der Muttertag begangen. Bereits Tage zuvor stimmte man die Leserschaft der Sindelfinger Zeitung auf diesen besonderen Tag ein. So wurde „das hohe Lied der Mutter“ besungen mit Zitaten von Dichtern und Schriftstellern wie Goethe, Schiller oder Hölderlin. Viele Anzeigen und längere Artikel über die Wertschätzung der Frau und Mutter im Nationalsozialismus zeigten die Bedeutung dieses Tages.

Im Mai 1934 wurde erstmals der „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter“ als öffentlicher Feiertag am 3. Sonntag im Mai begangen. Adolf Hitler stiftete 1938 das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter (Mutterkreuz) „als sichtbares Zeichen des Dankes des Deutschen Volkes an kinderreiche Mütter“. Die erste Verleihung erfolgte am 21.Mai 1939 in München. Die Auszeichnung symbolisierte die propagandistisch gewollte besonders ehrenvolle Rolle der Mütter innerhalb der „Volksgemeinschaft“, die sich mit ihrem Leben auf dem „Schlachtfeld“ der Mutterschaft (Adolf Hitler) einsetzten. Die erste Stufe des Mutterkreuzes in Gold wurde an Frauen mit acht und mehr Kindern verliehen, die zweite Stufe in Silber an Frauen mit sechs und sieben Kindern, die dritte Stufe in Bronze an Mütter mit vier und fünf Kindern. Auf der Rückseite befand sich die Inschrift „Das Kind adelt die Mutter“.

Am Sonntag, dem 18.Mai 1941 fand in Sindelfingen um 10 Uhr die offizielle Muttertagsfeier mit Verleihung des Mutterkreuzes statt. „Vor dem Hause hatte eine Wehrmachtskapelle Aufstellung genommen, die…Musikstücke spielte. Die Jugendgruppe der Frauenschaft überreichte den Müttern bei ihrem Eintritt hübsche Blumenangebinde…Lieder und Sprechchöre wechselten miteinander ab. Danach sprach die Frauenschaftsleiterin Frau Schönberger über den Sinn und Zweck des Muttertags…Die Mutterschaft, die im Mittelpunkt des Lebens der deutschen Frau stehe, sei die Krönung ihres Daseins und voll Dankbarkeit schaue die ganze Nation, an ihrer Spitze der Führer zu ihr auf…Mit dem Gruß an den Führer und den Liedern der Nation schloß die Feier, die auch unsere Stadt in den großen Rahmen der reichseinheitlichen Mütterehrungen stellte. Die deutsche Wochenschau und ein Kulturfilm boten den Frauen noch einen interessanten Einblick in die Kämpfe unserer Truppen, sowie schöne Naturaufnahmen aus einem Wildforst Wiens.“

An diesem Tag erhielten elf Mütter eine dieser Auszeichnungen. In der Zeitung wurde auch ein Hinweis der Kirchengemeinde, dass der Gottesdeinst bereits um 9 Uhr stattfindet, abgedruckt. Er wurde „wegen öffentl. Feier vorverlegt“. Dies war kein Einzelfall. Häufig fanden an Sonntagen ganz bewusst NS-Veranstaltungen in Konkurrenz zu Gottesdiensten oder kirchlichen Veranstaltungen statt. In diesem Fall jedoch informierte die Zeitung ihre Leserschaft über den eigentlichen Grund des Veranstaltungsbeginns: „…Die Feier ist so frühzeitig angesetzt, daß die Hausfrauen nachher noch ihren häuslichen Aufgaben für den Sonntag nachkommen können…“

Falls die Frauen dann am Nachmittag ihre Aufgaben erledigt hatten, konnten sie sich im Kino noch den passenden Film „Die keusche Geliebte“ ansehen.
Insgesamt hatten bis 1941 ca. 4,7 Millionen Frauen das Mutterkreuz erhalten. Im Volksmund wurde es auch als „Karnickelkreuz“ bezeichnet. Vor der Verleihung wurden erst Gutachten bei verschiedenen Behörden über die zu ehrende Frau eingeholt. Unter anderem waren ein Ariernachweis und der Nachweis über „erbgesunde“ Kinder erforderlich.

Das Mutterkreuz zählt seit 1957 zu den verfassungsfeindlichen Abzeichen.
(Text: Illja Widmann)
 

 Zeitungsausschnitt: Stadtarchiv Sindelfingen
Zeitungsausschnitt: Stadtarchiv Sindelfingen

April 2021 – April 1941 „Ordnung auf Straßen und Plätzen“

Im April 1941 dehnte Hitler den Krieg auf weitere Länder in Europa aus. Fast 700 000 deutsche Soldaten marschierten in Griechenland und Jugoslawien ein. Belgrad wurde am 6. April größtenteils zerstört. Bis Ende des Monats hatte die Wehrmacht die Königreiche Griechenland und Jugoslawien besiegt und die Deutschen herrschten fortan als Besatzungsmacht. Circa 90% der griechischen Juden bezahlten dies mit ihrem Leben.
 
Doch wie sah das Leben im April 1941 in Sindelfingen aus? Schaut man in die Sindelfinger Zeitung dieses Monats, so findet man nur noch wenig Berichte über lokale Ereignisse. Das Blatt beruhigte die Leserschaft mit „unverfänglichen“ Artikeln, z.B. über die Natur.
 
Ein Thema, das die Stadtverwaltung und wohl auch die Einwohner immer wieder beschäftigte, war die Sauberkeit in der Stadt und dem Umland. Bürgermeister Pfitzer entdeckte „bei einem Rundgang…, dass an allen möglichen Stellen in Strassengräben, … Gruben, Bächen,…und in Hecken Gegenstände aller Art, insbesondere Geschirr aus Metall, abgesetzt werden, wodurch die Landschaft verunstaltet wird. Ich ordne daher an, dass der… 1937 angeordnete Säuberungsdienst wieder aufgenommen wird und derartige wilde Ablagerungen von Schutt unsichtbar gemacht werden, sei es durch Zusammenlesen und Ueberdecken mit Boden oder Abfuhr auf den Auffüllplatz…“  (Sindelfinger Zeitung 23.4.1941)
 
Einen Tag später rückte das Milchhäusle am Wettbachplatz in den Fokus des Bürgermeisters: „Aus der Mitte der Einwohnerschaft ist… auf die große Unordnung neben der Milchsammelstelle hingewiesen worden. Es wird sogar der Ortspolizeibehörde der Vorwurf gemacht, es sei unverständlich, dass sie eine derartige Verschandelung des Stadtbildes duldet. Ich bitte Sie dringend, dafür zu sorgen, dass der Unrat… entfernt und der Platz sauber gehalten wird.“
 
Über die Sindelfinger Zeitung erfolgte am selben Tag ein Aufruf an die Bevölkerung, für „mehr Ordnung auf Straßen und Plätzen“, zur „Verschönerung des Stadtbildes“ zu sorgen. Der Bürgermeister forderte die Einwohnerschaft auf, „Gerümpel vor den Häusern“ zu entfernen. Die immer noch starke landwirtschaftliche Prägung der Stadt, zeigte sich in der Aufforderung, „das Aufstellen von Wagen und sonstigen landwirtschaftlichen Geräten vor den Häusern…“ zu unterlassen. Ebenso sollten nicht mehr genutzte Dunglegen entfernt werden. „Unschöne Schuppen“, „alte Gartenzäune“ und „unschöne Reklametafeln“ waren der Stadtverwaltung ebenfalls ein Dorn im Auge.
 
Diese Ordnungsbestrebungen trafen nicht immer auf Zustimmung der Betroffenen, wie eine Korrespondenz vom Dezember 1940 zeigt. Ein Bauer wurde von der Polizei aufgefordert „…vor seinem Hause grössere Ordnung zu halten und damit zur Verschönerung des Stadtbildes etwas beizutragen.“ Da er außerdem einen Güllewagen vor seinem Haus in der Ziegelstraße während eines Leichenzugs stehenließ, kam es zu Protesten beim Bürgermeister. Der Landwirt verwies jedoch auf fehlende Lagerflächen „…sollte ich nun deswegen bestraft werden, so werde ich mit dem Strafbefehl vor die Landwirtschaftskammer in Stuttgart gehen und dann soll von dort über das Recht…über meinen Grund und Boden entschieden werden.“ 
 
Bereits 1937 rief der Landrat im Auftrag des Innenministers per Erlass die Bürgermeister dazu auf, zur „Erhaltung des alten Ansehens der Heimat“ für die „Verschönerung und Reinhaltung des Ortsbildes“ zu sorgen. Auch Sindelfingen wollte da nicht zurückstehen. Allerdings schien der Anspruch des Bürgermeisters nicht immer in der Realität umgesetzt worden zu sein.
(Text Illja Widmann)

Milchhäuschen um 1960-1961, Stadtarchiv Sindelfingen
Lange Straße 5 um 1930, Stadtarchiv Sindelfingen
Hexensprung ca.1926, Stadtarchiv Sindelfingen
Untere Burggasse vor 1944, Stadtarchiv Sindelfingen
Wettbachplatz Waschhaus, später Milchhäusle, Stadtarchiv Sindelfingen. Das Gebäude am Wettbachplatz wurde bis in die 1930er Jahre als Waschhaus genutzt und anschließend als Milchhäusle der Milchgenossenschaft. 

März 2021 – März 1941 "Eine Schießanlage im Wald und ihre Geschichte"

Wer heute vom Wasserturm beim Krankenhaus aus auf der Alten Vaihinger Straße einen Spaziergang in den Sindelfinger Wald hinein macht, stößt nach einiger Zeit zunächst auf die sogenannte Bernet-Kapelle, einen Andachtsort in einer kleinen Schutzhütte, und einige Zeit später unmittelbar nach Überquerung der Autobahn A 8, nicht mehr allzu weit von Stuttgart-Vaihingen entfernt, auf ein größeres eingezäuntes Areal. Dahinter befindet sich der Schießstand Bernet, benannt nach dem dortigen Walddistrikt. Im März 1941 war dieses Areal zum wiederholten Mal Thema in einer Sitzung des Gemeinderats der Stadt Sindelfingen, dabei ging es um das durchaus heikle Thema eines Markungsgrenzausgleichs zwischen Sindelfingen und der damals noch selbständigen Gemeinde Maichingen.

Angefangen hatte alles im Jahr 1936, als im Zuge der nationalsozialistischen Aufrüstungspolitik zeitgleich mit dem Bau der Panzerkaserne auf Böblinger Gemarkung und der Kurmärker Kaserne in Vaihingen (heute Patch Barracks) begonnen wurde. Im Zusammenhang damit stand die Anfrage der Heeresstandortverwaltung Stuttgart vom Herbst 1937 zur Anlage einer militärischen Schießanlage im Gewann Bernet.
Bürgermeister Pfitzer und die Sindelfinger Ratsherren waren zunächst nicht gewillt, die Waldfläche am Rande der Sindelfinger Gemarkung käuflich an das Reich abzugeben und boten eine Verpachtung an, die aber wiederum seitens der Heeresstandortverwaltung abgelehnt wurde. Nun begannen langwierige und erfolglose Preisverhandlungen, die letztendlich von übergeordneter Stelle entschieden werden mussten. So verging die Zeit, und im Frühjahr 1941 war zwar die Schießanlage in Betrieb, die finanzielle Abwicklung aber noch nicht in allen Details geklärt. Gleichzeitig bestand die Standortverwaltung auf einem Markungsgrenzausgleich, da sich nach endgültiger Fertigstellung der Anlage eine kleine Teilfläche auf Maichinger Gemarkung befand. Letztendlich wurde der Grenzausgleich zwischen Maichingen und Sindelfingen im Jahr 1941 vollzogen, so dass sich die Sindelfinger Gemarkung zu diesem Zeitpunkt um ca. 10 ar vergrößerte, die Maichinger entsprechend schrumpfte. Eine Ausgleichszahlung erfolgte wegen der geringen Fläche und der Tatsache, dass das Gelände ja auch von Sindelfingen nicht genutzt werden konnte, nicht. Im Sindelfinger Gemeinderatsprotokoll vom 27. März 1941 heißt es dazu in geradezu aufreizender Freundlichkeit, dass der Entschluss gefasst wird, „die Gemeinde Maichingen mittels Übergabe eines Protokoll-Auszugs zur Zustimmung einzuladen.“ Wohl eher zähneknirschend nahmen die Maichinger die „Einladung“ an und stimmten ihrerseits dem Markungsgrenzausgleich zu.  Spätestens mit der Eingemeindung Maichingens nach Sindelfingen im Jahr 1971 hätte sich die Frage aber ohnehin erledigt.

Nachdem die Schießanlage mit Kriegsende ihre Funktion vorerst verloren hatte, wurde das Gelände in der Nachkriegszeit als Flüchtlingslager genutzt. Dabei wird immer wieder über die schwierigen Verhältnisse berichtet, die die Lage der Unterkünfte kilometerweit von der Stadt entfernt mit sich brachte. Im Zusammenhang mit der Einrichtung des Flüchtlingslagers ist auch die Bernet-Kapelle als Andachtsort für die katholischen Bewohner eingerichtet worden und wird bis heute liebevoll gepflegt. Nach Abriss der Wohnbaracken Anfang der 1960-er Jahre wurde das Gelände wieder der ursprünglichen militärischen Nutzung zugeführt.

(Text: Horst Zecha)

Februar 2021 – Februar 1941 „Der gewaltigste Sieg der deutschen Geschichte…“

Ein aufwändiges Propaganda-Machwerk in den Beständen des Stadtmuseums

In den Beständen des Sindelfinger Stadtmuseums zur NS-Geschichte befindet sich ein in mehrfacher Hinsicht außergewöhnliches Sammlungsstück: das 1940 erschienene und 1941 Verbreitung gefundene Buch des Münchner Raumbild-Verlags „Der Kampf im Westen“. In dem stoffüberzogenen Holzeinband sind auf den Innenseiten 100 Fotos und eine 3D-Brille eingelegt, die den Fotos bei Betrachtung eine plastische Anmutung verleiht. Zu sehen sind auf den Bildern überwiegend vormarschierende deutsche Soldaten, zerstörte französische Städte, erbeutetes Kriegsgerät und gefangene fremdländische Soldaten. Dabei sollen die Bilder den Eindruck erwecken, als würde der Betrachter den dargestellten Kriegshandlungen aus unmittelbarer Nähe beiwohnen. Doch bereits die auf allen Bildern auffallenden makellos ordentlichen Uniformen inklusive der reinlichst geputzten Stiefel machen ebenso wie die teils gekünstelten Posen deutlich, dass es sich hier um eigens angefertigte Propagandabilder handelt, die mit dem eigentlichen Kriegsgeschehen nichts zu tun hatten.
Dargestellt ist in der 1941 parteiamtlich geprüften Propagandaschrift der deutsche Feldzug gegen die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Frankreich im Mai und Juni 1940.
Nachdem Hitler am 1.September 1939 mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg entfesselt hatte, hatten Frankreich und England entsprechend ihrer Bündnisverpflichtungen am 3.September dem Deutschen Reich den Krieg erklärt. Zu nennenswerten Kriegshandlungen an der Grenze zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich war es aber in der Folgezeit nicht gekommen, v.a. auch, weil in Frankreich innenpolitisch eine Kriegsteilnahme höchst umstritten war. Nach dem Sieg über Polen konnte es aber nur noch eine Frage der Zeit bis zum deutschen Angriff auf Frankreich sein. Dieser erfolgte im Mai 1940, indem deutsche Truppen auch über die neutralen Staaten Belgien und Niederlande schnell vorrückten und schon am 14. Juni in Paris einmarschieren konnten.
Mit dem Sieg über den sogenannten „Erzfeind“ Frankreich hatte Hitler den Höhepunkt seiner Macht und Popularität erreicht. Große Teile der Bevölkerung scharten sich hinter ihm, und auch seitens der Militärs wurde ihm von nun an überwiegend blinde Gefolgschaft entgegengebracht. Weder in den täglichen Lobeshymnen der Presse und schon gar nicht in Propagandawerken wie dem vorliegenden Buch wurde die Realität des Krieges auch nur ansatzweise erwähnt: Weit über 100.000 Soldaten sind während des Krieges im Frühjahr 1940 auf beiden Seiten zu Tode gekommen. Auf die deutsche Besetzung Frankreichs folgte auch hier die Inhaftierung und Deportation der jüdischen Bevölkerung; schätzungsweise 75.000 Juden aus Frankreich sind in den Vernichtungslagern ermordet worden. Hunderttausende kriegsgefangener Franzosen wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht. Hunderte haben auch in Sindelfingen gearbeitet, überwiegend in der Kriegsproduktion bei Daimler-Benz, aber auch für die Stadtverwaltung. Sechs junge Männer aus Sindelfingen waren laut der Gefallenenlisten unter den Toten des Frankreichfeldzuges.
 
(Text: Horst Zecha)

Ab Donnerstag, 25.2. können Interessierte in den Schaukästen vor dem Museum das Monatsthema betrachten.

Foto: Stadtmuseum
Flüchtlingslager Bernet, Fotonachweis: Stadtarchiv Sindelfingen
Kapelle Bernet, Fotonachweis: Stadtarchiv Sindelfingen

Januar 1941 - „Unentschuldigtes Fernbleiben wird bestraft“ - Kontrolle und Disziplinierung der Bevölkerung

In der Sindelfinger Zeitung vom 16. Januar 1941 findet sich eine groß aufgemachte Bekanntmachung unter der Überschrift „Aufruf zur Teilnahme an Wehrversammlungen im Bereich des Wehrmeldeamts Böblingen“. In einer langen Liste sind für alle damaligen Kreisgemeinden Orte aufgeführt, an denen sich zu festgelegten Uhrzeiten „alle gedienten Angehörigen der Jahrgänge 1900 und jünger“ einzufinden haben. Die betroffenen Sindelfinger und Angehörige weiterer Kreisgemeinden mussten am Mittwoch, 22. Januar in den städtischen Saalbau (die damalige Festhalle, die an der Stelle der heutigen Stadtbibliothek stand) kommen. Für die betroffenen Mitarbeiter des Daimler-Benz-Werks waren eigene Termine in der Werkskantine vorgesehen.
Hintergrund für diese auffällige Bekanntmachung war das Wehrgesetz vom 21.Mai 1935, das im § 19 „Wehrüberwachung“ die jährliche Abhaltung von Wehrversammlungen vorschrieb. Das Wehrgesetz und die Durchführung von Wehrversammlungen war einer von vielen Bausteinen, mit denen der NS-Staat eine lückenlose Erfassung und Überwachung sowie eine dauerhafte propagandistische Einbindung der gesamten Bevölkerung erreichen wollte.
Bereits kurz nach Schuleintritt war für die Kinder der Eintritt in die Hitlerjugend vorgesehen. Die Mitgliedschaft war zwar formell freiwillig, jedoch musste, wer sich verweigerte, mit Repressalien und Nachteilen beispielsweise bei der Lehrstellensuche rechnen.
Zwischen dem 18. und 21. Lebensjahr konnten Männer vor dem Wehrdienst zu einem sechsmonatigen Arbeitsdienst einberufen werden, mit Kriegsbeginn wurde die Arbeitsdienstpflicht auch auf Frauen ausgeweitet.
Der 1935 per Gesetz eingeführte Reichsarbeitsdienst (einen freiwilligen Arbeitsdienst hatte es bereits seit 1931 gegeben) diente der vormilitärischen Ausbildung und propagandistischen und disziplinarischen Vorbereitung auf den Wehrdienst. Bereits die Wortwahl verrät dies, wenn beispielsweise in einem Schulbuch zum Arbeitsdienst ein Kultivierungsprojekt an der schleswig-holsteinischen Küste als „Der Kampf an der Westküste“ beschrieben wird. Dass der Reichsarbeitsdienst in erster Linie als Disziplinierungsinstrument genutzt wurde, zeigt sich auch in der geringen wirtschaftlichen Bedeutung, die in krassem Widerspruch zur propagandistischen Überhöhung stand.
Aus heutiger Sicht gesellt sich zur ökonomischen Bedeutungslosigkeit auch noch die ökologische Schädlichkeit vieler Projekte des Reichsarbeitsdienstes, beispielsweise bei der Entwässerung von Moorgebieten.
Dass sich zum Teil noch bis heute die Mähr vom Arbeitsdienst, der die Menschen von der Straße und dem Land den wirtschaftlichen Aufschwung gebracht hat, hält, zeigt einmal mehr die Wirksamkeit der nationalsozialistischen Propaganda.
 
(Text: Horst Zecha)

Abbildungen aus dem Buch: Der Arbeitsdienst, Ein Bildberichtbuch von Herbert Erb, 1937.Das Buch befand sich in der Schülerbücherei der Adolf-Hitler-Schule (= Goldberg-Gymnasium).In Prenzlau (Uckermark) wurden vom Reichsarbeitsdienst ehemalige Überschwemmungsflächen trockengelegt.
Aufruf Wehrversammlung SZ 16.01.1941

Dezember 1940 - "Weihnachten zwischen Krieg und versuchter Normalität"

Die Ausgaben der Sindelfinger Zeitung vom Dezember 1940 vermitteln den Eindruck, dass das öffentliche und private Leben von sehr gegensätzlichen Einflüssen geprägt war. Vieles, was wir an Zeitungsanzeigen und Kurzberichten finden könnte sich – in zeitgemäßer Form – auch heute in den Medien finden lassen und suggeriert weitgehend ungetrübte Vorfreude auf das Weihnachtsfest. So finden sich verschiedene Kauf- und Verkaufsangebote, die einen unmittelbaren Bezug zu kindlichen Weihnachtswünschen nahelegen: Ein Puppenkochherd wird ebenso angeboten wie eine Blecheisenbahn der Marke Minex Märklin oder verschiedene Winterkleidung. Ein Soldat sucht in einer Anzeige nach einem Eisenbahnzug für sein Kind.
Etwas nüchterner kommt da schon die mehrfach geschaltete Werbung „Schenk ein Sparbuch“ daher, und ob sich jemand tatsächlich über „24 Lehrbriefe“ als „passendes Weihnachtsgeschenk für Facharbeiter, Zeichner oder Techniker‘“ gefreut hätte, sei dahingestellt.
Das Bedürfnis nach weihnachtlicher Atmosphäre war offensichtlich groß, denn bereits am 14.Dezember gab es die amtliche Bekanntmachung, dass die von der Stadt angebotenen Weihnachtsbäume ausverkauft seien. Im Kino lief als vorweihnachtlicher Kinderfilm „Der gestiefelte Kater“.
Natürlich traten aber auch die NS-Propaganda und die NS-Organisationen vor Weihnachten verstärkt in Erscheinung. Die NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) – Ortsgruppe warb für ein vorweihnachtliches Großvarieté im städtischen Saalbau. Als Stargast wurde der damals schon bekannte Oskar Hailer angekündigt, der auch in der Nachkriegszeit zusammen mit Willy Reichert als schwäbisches Duo „Häberle und Pfleiderer“ noch viele Jahre große Erfolge feierte. Mit großem Aufwand und pathetischer Geste wurde auch 1940 wieder für das Winterhilfswerk und materielle Unterstützung für die Frontsoldaten geworben, die Jungmädel der Hitlerjugend warben für eine Märchentheater-Aufführung.
Immer wieder bricht aber in diese vermeintlich heile Welt die Realität des Krieges ein. So findet sich beispielsweise am 5.Dezember unmittelbar neben der Ankündigung des Varieté – Abends die Todesanzeige für Kurt Rehkugler. Im euphemistischen Pathos der Zeit heißt es, er habe „am 19.November 1940 in soldatischer Pflichterfüllung für unseren Führer und Deutschlands Zukunft sein Leben geopfert.“
Wir können nicht erahnen, wie viele Sindelfingerinnen und Sindelfinger das Weihnachtsfest 1940 in Angst und Sorge um Angehörige und Freunde verbracht haben. Für wohl kaum eine Familie wird es ein frohes und unbeschwertes Weihnachtsfest gewesen sein.
(Text: Horst Zecha)
 

Fotonachweis: Scan Stadtarchiv Sindelfingen
Fotonachweis: Scan Stadtarchiv Sindelfingen
Fotonachweis: Scan Stadtarchiv Sindelfingen

November 1940 - November 2020 - "Kommunalpolitik im Schatten des Krieges"

„Der Bürgermeister gibt den Ratsherren bekannt: ..."

Geht man nach dem Protokoll, so muss es eine lange Gemeinderatssitzung gewesen sein am 21. November 1940. Sie hatte aber ansonsten nicht viel gemeinsam mit den Sitzungen eines frei gewählten unabhängigen Gremiums, wie wir sie aus unserer demokratischen Kommunalpolitik kennen. Mit der Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 war in Umsetzungdes Führerprinzips auch auf kommunaler Ebene der Bürgermeister zum alleinigen Vertreter und Entscheidungsorgan der Gemeinde bestimmt worden. Zur Rolle des Gemeinderats hieß es, dass der Gemeinderat kein Beschlussorgan mehr ist, vielmehr, dass die einzelnen Gemeinderäte die Aufgabe haben, die dauernde Fühlung der Gemeindeverwaltung mit allen Schichten der Bürgerschaft zu sichern, den Bürgermeister eigenverantwortlich zu beraten und seinen Maßnahmen in der Bevölkerung Verständnis zu verschaffen.“

Auf dieser Basis kamen die Ratsmitglieder (Normalzahl 10), die zwei Beigeordneten und der Bürgermeister – natürlich alle NSDAP-Mitglieder – auch am 21. November 1940 zusammen. Die durchaus nicht ungewöhnliche Tagesordnung zeigt, wie fest die Kriegsverhältnisse die Kommunalpolitik zu dieser Zeit bereits im Griff hatten.

Schon der erste Tagesordnungspunkt macht dies deutlich, mit dem des Landrats Dr. Raunecker gedacht wurde, der während seiner Einberufung als Oberkriegsverwaltungsrat einen tödlichen Unfall erlitt. Auch aus den Reihen der Sindelfinger Ratsherren sollte es im Lauf des Krieges Opfer zu beklagen geben.

Verschiedene Tagesordnungspunkte spiegeln die zunehmenden Personalprobleme wider, die durch vermehrte Einberufungen und Abordnungen bei der Stadtverwaltung entstanden. So gibt Bürgermeister Pfitzer bekannt, dass der Versuch, die Verwaltungspraktikanten Gruber (der spätere langjährige Bürgermeister) und Kilper vom Heeresdienst freistellen zu lassen, gescheitert seien und dass Polizeihauptwachtmeister Binanzer nach Hagenau im Elsass abkommandiert worden sei - Frankreich war 1940 von Deutschland besiegt und das Elsass dem Deutschen Reich angegliedert worden.

Der Tatsache des militärischen Sieges war es auch zu verdanken, dass bei verschiedenen Beratungsthemen, die sich um die Herstellung von Wegen oder um Entwässerungsmaß-nahmen drehten beabsichtigt war, französische Kriegsgefangene zu den vorgesehenen Arbeiten heranzuziehen.

Schließlich stellte der Vorrang militärischer vor zivilen Bedürfnissen die Stadt auch in räumlicher Hinsicht vor immer wieder neue Probleme. So berichtet Bürgermeister Pfitzer davon, dass für das Schulturnen und die sportlichen Aktivitäten der Hitlerjugend gegen Mieteauf die Turnhalle das VFL Sindelfingen zurückgegriffen werden müsse. Die städtische Turnhalle (sie befand sich etwa dort, wo heute der Oberlichtsaal steht, schräg hinter dem mittleren Rathaus) sei nämlich von der Fliegerhorstkommandantur Böblingen belegt, was auch Belegungsprobleme im städtischen Saalbau (der etwa dort stand, wo sich heute die Stadtbibliothek befindet) zur Folge habe.

Wir sehen an diesen wenigen Beispielen, denen sich noch viele andere aus weiteren Gemeinderatssitzungen hinzufügen ließen, dass das militärische Geschehen zunehmend Einfluss auf alle Bereiche der Kommunalpolitik gewann. Und doch ist das, was wir im November 1940 erleben, erst ein leiser Vorbote dessen, was der Krieg dem kommunalen Leben noch auferlegen sollte.

(Text: Horst Zecha)

Rathaus von 1845, in dem bis 1970 der Gemeinderat tagte
Rathaus von 1845, in dem bis 1970 der Gemeinderat tagte, Foto: Stadtarchiv Sindelfingen
Die städtische Turnhalle von 1875. Links der städtische Saalbau von 1926. (Aufnahme 1962-1964) Beide Gebäude wurden im Zuge der Neubebauung des Areals mit Stadtbibliothek und Oberlichtsaal in den 1960er Jahren abgebrochen.
Die städtische Turnhalle von 1875. Links der städtische Saalbau von 1926. (Aufnahme 1962-1964) Beide Gebäude wurden im Zuge der Neubebauung des Areals mit Stadtbibliothek und Oberlichtsaal in den 1960er Jahren abgebroche, Foto: Stadtarchiv Sindelfingen

Oktober 1940 – Oktober 2020 - "Propaganda und Antisemitismus"

Ende Oktober 1940 strömten die Sindelfinger ins Filmtheater an der Gartenstraße. Ihr Ziel war der Film „Jud Süß“. Die Sindelfinger Zeitung vom 24.10.1940 bewarb den Film mit folgenden Worten: „Ein Spitzenfilmwerk aller Zeiten! Die deutsche Filmkunst mußte erst den Weg der letzten Jahre gehen, ehe sie ein Werk solcher Prägung schaffen konnte.“
Initiator für den Film war Propagandaminister Joseph Goebbels. In seinem Tagebuch notierte Goebbels: „Harlan Film „Jud Süß“. Ein ganz großer, genialer Wurf. Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können. Ich freue mich darüber.“ Ziel des Films war die Verleumdung der Juden und das Schüren des Judenhasses in der Bevölkerung. Im Mittelpunkt steht die Figur des Joseph Süß Oppenheimer, hier nur diffamierend „Jud Süß“ genannt. Mit der Einblendung des Satzes „Die im Film geschilderten Ereignisse beruhen auf geschichtlichen Tatsachen“ wird eine angeblich historisch belegte Wahrheit konstruiert.
Werfen wir einen kurzen Blick auf die tatsächliche Lebensgeschichte der Hauptfigur: Joseph Süß Oppenheimer wurde 1689 in Heidelberg geboren und verdiente aufgrund der beruflichen Einschränkungen für Juden, sein Geld mit Handels- und Finanzgeschäften. Er finanzierte auch den württembergischen Herzog Karl Alexander und dessen teure Hofhaltung. Von 1733 bis 1737 regierte Karl Alexander als katholischer Herzog im protestantischen Württemberg, mit einem jüdischen Finanzier und Berater an seiner Seite – eine Situation mit viel politischem Zündstoff. Mit dem plötzlichen Tod des Herzogs 1737 verlor Joseph Süß jeden Schutz und noch am selben Tag erfolgte seine Verhaftung. Am 4. Februar 1738 wurde er in Stuttgart nach einem Schauprozess, vor 20.000 Zuschauern, hingerichtet. Joseph Süß wurde mehrerer Vergehen bezichtigt, u.a. Hochverrat, Bestechlichkeit, Schändung der protestantischen Religion. Am schwersten jedoch wog der Vorwurf des „sexuellen Umgangs mit Christinnen“. Dokumente im Hauptstaatsarchiv Stuttgart zeigen, dass das Urteil des Prozesses von Anfang an feststand und Joseph Süß das Opfer eines Justizmordes wurde.
Die Geschichte des Joseph Süß wurde von Regisseur Veit Harlan jedoch ganz im Sinne der nationalsozialistischen Propaganda dargestellt. Im Mittelpunkt stand die sogenannte „Rassenschande“. Sehr geschickt wurden mit filmischen Mitteln die scheinbar unüberbrückbaren Gegensätze der verschiedenen Lebenswelten dargestellt und die Notwendigkeit diese, ganz im Sinne der Nürnberger Rassengesetze „rein“ zu halten. Die Zuschauer wurden davor gewarnt, den Juden die Tür in die deutsche Gesellschaft zu öffnen.
Die Sindelfinger Zeitung vom 29.10.1940 schrieb begeistert: „Mehr als alle Worte, die jemals über die Judenfrage gesprochen und geschrieben wurden, stählt dieser Film unser völkisches und rassisches Gewissen. Viel Leid und Unglück ist unserem Volk, seinen Frauen und Mädchen dadurch erspart worden, daß wir die Judenfrage für alle Zukunft lösten.“
Der Film wurde von 2866 Besuchern gesehen. Welchen Eindruck er auf sie machte, ist leider nicht bekannt. In der Zeitung vom 2.11.1940 wird jedoch bedauert, dass der zuvor gezeigte Film Geierwally noch stärkeren Zuspruch erfuhr: „diese Zahlen beweisen doch, daß in unserem ländlichen Lebenskreis der volkstümliche Film höhere Besucherzahlen erreicht als der anspruchsvollere…“ Die Ursache vermutet die Sindelfinger Zeitung in der Tatsache, dass „…der Stoff des „Jud Süß“ doch nur jenen bekannt gewesen sei, die mit der Landesgeschichte und der Judenfrage vertraut sind.“   (Text Illja Widmann)

September 1940 – September 2020 - „Kleiderwünsche und Punktfragen im Herbst“ – Reichskleiderkarten

„Kleiderwünsche und Punktfragen im Herbst“ – so ist die Werbung von E.Breuninger, Stuttgart am 13. September 1940 in der Sindelfinger Zeitung überschrieben. Zu sehen ist eine Familie, die aufmerksam die neue Kleiderkarte studiert. „Wie das Reich für alles sorgt, so hat es auch rechtzeitig daran gedacht, durch die Ausgabe einer neuen Kleiderkarte Ihre Kleiderwünsche zu erfüllen…die neue Mode erfüllt vor allen Dingen den Zweck, da ergänzend einzuspringen, wo Kleider, Anzüge,…usw. ersetzt werden müssen…Mit etwas Geschick können Sie also leicht Ihre modischen Wünsche mit den Punkten Ihrer Kleiderkarte „unter einen Hut“ bringen. Geh` doch zu Breuninger!“
 
Wer die Werbung aufmerksam liest, erkennt das wichtige Wort „ersetzen“. Es geht also nur um die notwendigste Kleidung. Auf den ersten Blick vermitteln die Werbung und auch die Informationen in den Tageszeitungen ein Bild der Normalität, das jedoch im Gegensatz zur Realität der Bevölkerung stand. Die neue Ausgabe der Reichskleiderkarte war ein weiteres Indiz für eine längerfristige Fortführung der Kriegswirtschaft im beginnenden zweiten Kriegsjahr. Seit dem 7. September 1940 flog die deutsche Luftwaffe verstärkt Angriffe auf London und ganz Großbritannien. Die Erwartung eines schnellen Kriegsendes nach dem Sieg über Frankreich verblasste bereits wieder.
 
Der Erwerb von Kleidung, Textilien und Schuhen war seit November 1939 nur über Kleiderkarten und Bezugsscheine möglich. Die Zweite Reichskleiderkarte war vom 1. September 1940 bis 31. August 1941 gültig. Es gab sechs Arten von Karten mit jeweils 150 Punkten für Säuglinge, Kleinkinder, Mädchen und Jungen bis 15 Jahre, Frauen und Männer, ergänzt durch Zusatzkarten für Jugendliche. Ein Kleid aus Kunstseide „kostete“ z.B. 23 Punkte, sollte es aus Wolle sein, dann mussten 42 Punkte, d.h. fast ein Drittel der Gesamtpunktzahl, eingelöst werden. Für Sommer- und Wintermäntel oder Herrenanzüge waren sehr viele Marken erforderlich. Hier gab es die Möglichkeit einen Bezugsschein zu beantragen, dessen Gewährung jedoch sehr restriktiv gehandhabt wurde. Bei der Stadtverwaltung gingen immer wieder Briefe von Bürgern ein, die in eine Notlage gerieten, da ihnen im Winter warme Bekleidung fehlte.
Die korrekte Verwendung der Kleider- und Lebensmittelkarten für mehrere Personen einer Familie war aufwändig. Hier war gute Planung erforderlich, zumal eine Übertragung der Karten innerhalb der Familie nicht zulässig war und Mißbrauch bestraft wurde.
 
Aus der Erfahrung des Ersten Weltkriegs heraus, bemühten sich die Nationalsozialisten, die Versorgung der Bevölkerung im Krieg zu sichern, um soziale Unruhen zu verhindern und die Kriegsmoral aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig regelte das Wirtschaftsministerium über Gesetze, Erlasse und Verordnungen, wer von der Verteilung ausgeschlossen wurde.
Am 10. Februar 1940 ging beim Bürgermeisteramt ein vertraulicher Brief mit folgender Anordnung ein: „Juden erhalten keine Reichskleiderkarte…Die Spinnstoff- und Schuhversorgung der Juden erfolgt durch die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“…Im Übrigen steht ihnen der Erwerb von Altwaren ohne Bezugsschein offen…Von einer Veröffentlichung dieses Erlasses ist abzusehen.“ Juden sollten sich somit in alten abgetragenen Kleidern in der Öffentlichkeit zeigen – ein weiterer Baustein zu ihrer sichtbaren Ausgrenzung aus der Gesellschaft.
 
(Text: Illja Widmann)
 

Vorlage aus dem Reichsgesetzblatt für die Zweite Reichskleiderkarte.
Vorlage aus dem Reichsgesetzblatt für die Zweite Reichskleiderkarte. Die Karten wurden auf festem orangefarbenem Papier gedruckt. Original: Stadtarchiv Sindelfingen

August 1940 – August 2020 - Der Pfarrbericht von 1940, Zwischen nationaler Begeisterung und Existenzangst

Wenn wir etwas über das gesellschaftliche, politische und kirchliche Leben in Sindelfingen erfahren wollen, können die Pfarrberichte als eine besonders ergiebige und authentische Quelle dienen. Diese mussten von den örtlichen Pfarrern alle vier Jahre erstellt werden, so auch für das Jahr 1940. Konfessionell war Sindelfingen zu dieser Zeit nach wie vor evangelisch geprägt, auch wenn seit der Ansiedlung der Daimler-Motorengesellschaft im Jahr 1915 vermehrt katholische Arbeitskräfte in die Stadt kamen und in den zwanziger Jahren für diese in einem alten Fabrikgebäude eine Notkirche eingerichtet worden war.
 
Die evangelische Landeskirche war der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 zunächst in weiten Teilen durchaus positiv gegenübergestanden. So formulierte Landesbischof Wurm in einem Brief vom 2.Februar 1933 beispielsweise: „Der Dank für Rettung aus unmittelbar drohender schwerer Gefahr und die Freude darüber, dass der neue Staat inbezug auf die innere und äußere Volksgesundheit Aufgaben sieht und anfasst, zu denen wir den Staat der Vorkriegs- und Nachkriegszeit [gemeint ist der Erste Weltkrieg] vergeblich mahnten, überwiegt auch die Besorgnis, ob nicht die vielbesprochene Gleichschaltung ein allzu rasches Tempo anschlage.“
Tatsächlich führten die Gleichschaltungsmaßnahmen bald zu einer Polarisierung innerhalb der evangelischen Kirche, die ihre Pole in den NS-treuen „Deutschen Christen“ (DC) auf der einen Seite und der um Erhalt der Unabhängigkeit kämpfenden „Bekennenden Kirche“ auf der anderen Seite fand. Diese Flügelkämpfe verloren zwar in Kriegszeiten an Bedeutung, sind aber auch im Pfarrbericht von 1940 deutlich erkennbar, wobei klar wird, auf welcher Seite Stadtpfarrer Fischer stand: „Die Ortsgruppe der Deutschen Christen ist sehr rührig. In einem Saal der Volksschule halten sie ihre Versammlungen, zu denen am Sonntag oder Dienstags häufig auswärtige Redner kommen, auch Taufen und Beerdigungen halten. Selbst Reichsbischof Müller sprach hier vor 2 Jahren in der städt. Festhalle. Aber diese, wie andere öffentliche Reden wirkten eher gegen die D.C., deren Wichtigtun im umgekehrten Verhältnis zu ihrer schon lange gleichbleibenden Wenigkeit von etwa 20 aktiven Mitgliedern steht. Die Kirchensteuer verweigern sie beharrlich. Neuerdings treten einige aus der Kirche aus.“
Der Pfarrbericht von 1940 macht auch deutlich, dass das kirchliche Leben ein permanenter Drahtseilakt zwischen Anpassung einerseits und dem Versuch der Wahrung eines Rests von Eigenständigkeit andererseits war: „Zwischen Kirche und Partei gab es keine besonderen Vorkommnisse. (…) Was die Führung von HJ, B.d.M. [nationalsozialistische Jugendverbände] und ihr Verhalten der Kirche gegenüber betrifft, so können wir hier gegenüber vielen anderen Orten für korrekte, ja rücksichtsvolle Haltung dankbar sein. (…)
Sonst ist trotz des persönlichen Einvernehmens die allgemeine Stellung der Partei die übliche, während letztere sich in nationaler und sozialer Hinsicht gerade auch im Krieg treu betätigt und durch Pflege des wahren Evangeliums die innere Front stärkt.“
Wir sehen an diesen Formulierungen das Spannungsfeld zwischen der nationalen Grundeinstellung auf der einen Seite und der Angst vor staatlicher Übermacht auf der anderen, das für viele evangelische Pfarrer in der NS-Zeit typisch war. Diese Ambivalenz spiegelt sich auch im Nachwort von Pfarrer Fischer zum Pfarrbericht 1940 wider, in dem es heißt: „Was der Krieg mit dem schon von Ferne winkenden, gewaltigen Sieg des nationalsozialistischen großdeutschen Reiches für die evang.-christliche Kirche bedeuten wird an äußerer und innerer Wandlung, an Not und Heil, das steht in Gottes Hand. Ein etwaiger nächster Pfarrbericht wird eine neue Lage und Welt vorfinden. Möge darin die christliche Gemeinde der Deutschen Volksgemeinschaft ferner dienen können und dürfen.“
(Verfasser: Horst Zecha)

Im Vordergrund befindet sich die katholische Notkirche im Hintergrund die evangelische Martinskirche.Bei der Fabrik mit den zwei Schornsteinen handelt es sich um die Ziegelei Hamm, dahinter die ehemalige Gartenstraßenschule. Sie wurde 1936 in Horst-Wessel-Schule umbenannt.
Fotonachweis: Stadtarchiv Sindelfingen
Im Vordergrund befindet sich die katholische Notkirche im Hintergrund die evangelische Martinskirche.
Bei der Fabrik mit den zwei Schornsteinen handelt es sich um die Ziegelei Hamm, dahinter die ehemalige Gartenstraßenschule. Sie wurde 1936 in Horst-Wessel-Schule umbenannt.

Juli 1940 – Juli 2020 - Heldentod und Kriegsende?

Der Sommer 1940 stand im Deutschen Reich unter dem Eindruck des militärischen Erfolgs in Nord- und Westeuropa. Die Sindelfinger Zeitung erschien am 3. Juli 1940 mit dem Aufmacher „Der größte Feldzug aller Zeiten – Abschlussbericht über den Feldzug in Frankreich“. Nachdem zuvor bereits Dänemark, Norwegen, Belgien, Luxemburg und die Niederlande besetzt wurden, machte sich allgemein die Erwartung breit, dass der Krieg nun zum baldigen Ende kommen würde. Es fehlte „nur“ noch der Sieg über Großbritannien.
 
Für die Sindelfinger Bevölkerung schien der Krieg im Juli 1940 wie ein Grollen in der Ferne. Die Zeitung veröffentlichte ausführliche Kriegsberichte und sonstige Propaganda. Aber auch Alltägliches war vertreten, es fanden Fußball-, Handball und Faustballspiele statt, auch die Leichtathleten und Turner veranstalten Wettkämpfe. Der Schwarzwaldverein bot Wanderungen an. 
 
Und doch war für einige Familien der Krieg bittere Realität. Von Mitte Juni bis Anfang Juli 1940 erschienen mehrere Todesanzeigen von Gefallenen. Die jungen Männer waren zwischen 19 und 24 Jahre jung. Die Traueranzeigen vermitteln neben den allgemeinen, damals üblichen Floskeln auch den tiefen Schmerz der Familien. Man sorgte sich auch um die, von denen noch Nachrichten fehlten.
 
Die Gemeinde überlegte, in welcher Form die Gefallenen geehrt werden sollten. Ein Runderlass des Reichsministeriums des Inneren vom 17. September 1940, verfügte hier jedoch mit Ehrenmalen zurückhaltend zu sein: „Die Ehrung der für das Vaterland Gefallenen und die Pflege der Erinnerung an die glänzenden Waffentaten des Großdeutschen Freiheitskampfes wird die vornehmste Ehrenpflicht des deutschen Volkes nach diesem Kriege sein. Der Führer wird der würdigen Ausgestaltung der Ehren- und Erinnerungsmale seine besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Die Zeit für die Errichtung solcher Male erachtet der Führer jedoch noch nicht für gekommen.“
Zwei Monate später jedoch wurden „Richtlinien für die Gestaltung von Ehrenfeldern für Kriegsgefallene“ erlassen.
 
Kehren wir nochmals in den Sommer 1940 zurück. Sicherlich war die Erwartung des Kriegsendes groß. So findet sich in den Gemeinderatsprotokollen häufiger die Bemerkung, dass Entscheidungen „erst nach Ende des erfolgreichen Krieges“ getroffen werden sollten. Doch die Nachrichten verhießen nichts Gutes.
Am 2. Juli 1940 wurden die Jahrgänge 1900 bis 1903 zur Musterung aufgefordert. Trotz des militärischen Erfolges plante man also die 37- bis 40-Jährigen zu den Waffen zu rufen - darunter auch Männer, die bereits im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten.
 
Die Erwartung eines kommenden Kriegsendes unter nationalsozialistischer Herrschaft schürte auch Befürchtungen. Aus dem Pfarrbericht von 1940:
„Nachwort: Was der Krieg mit dem schon von Ferne winkenden, gewaltigen Sieg des nationalsozialistischen grossdeutschen Reiches für die evang.-christliche Kirche bedeuten wird an äusserer und innerer Wandlung, an Not und Heil, das steht in Gottes Hand. Ein etwaiger nächster Pfarrbericht wird eine neue Lage und Welt vorfinden. Möge darin die christliche Gemeinde der Deutschen Volksgemeinschaft ferner dienen können und dürfen.“
 
(Text: Illja Widmann)

Juni 1940 – Juni 2020 „Ein großer Teil der netten Häuser sind bezogen worden…“ – Wohnungsbau in Kriegszeiten

Mit fortschreitender Dauer und spätestens seit Einsetzen der alliierten Luftangriffe auf deutsche Städte beeinflusste der Krieg immer stärker alle heimischen Lebensbereiche. In der frühen Kriegsphase, die von militärischen Erfolgen auf deutscher Seite gekennzeichnet war, erscheint der Krieg oft noch fern der Heimat und der Alltag in vielen Bereichen noch weitgehend unbeeinflusst. Dieses Bild wird allerdings von der NS-Propaganda bewusst gepflegt, so dass bei der Auswertung entsprechender Quellen stets Vorsicht geboten ist.
 
Am 4. Juni 1940 findet sich in der Sindelfinger Zeitung unter der Überschrift „Besuch in der Fronäcker – Siedlung“ ein blumiger Bericht über den Bezug der letzten fertiggestellten Häuser der neuesten Sindelfinger Siedlung entlang der Bahnlinie Sindelfingen-Maichingen. In befremdlich verniedlichender Form nimmt der Schreiber auf die Zeitverhältnisse Bezug: „Man kann sich denken, dass diese Arbeiten während der letzten acht Monate nicht ganz den Fortschritt nahmen, wie er gemacht worden wäre, wenn der Krieg nicht einen Teil der Handwerksleute vom Schaffen abgehalten hätte und noch abhält. Aber das eine kann man doch sagen: ein großer Teil der netten Häuser sind bezogen worden…“
 
Die Planungen für einen Siedlungsbau in den Fronäckern gehen bis ins Jahr 1934 zurück und sind im Zusammenhang mit den Bemühungen der Stadtverwaltung zu sehen, die seit der Ansiedlung des Daimler-Werks 1915 notorische Wohnungsknappheit in Sindelfingen zu lindern. Dazu war bereits unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg der Bau- und Sparverein, die spätere Baugenossenschaft, als kommunales Wohnungsbauunternehmen gegründet worden. Der Bau- und Sparverein war auch Bauträger der Fronäckersiedlung. Dabei richteten sich Stadt und Unternehmen nach den Vorgaben und Plänen des „Heimstättenamts der NSDAP“ mit Sitz im Ludwigsburger Schloss. Von dort kamen die Vorgaben für die standardisierten Haustypen, die den Siedlungsbau während der NS-Zeit in ganz Deutschland maßgeblich prägten. Für die einfachste Hausvariante, „Typ 1“ wurde 1935 vom Stadtbauamt eine Kalkulation erstellt, die von Grundstückskosten von 1.100 Reichsmark (10 ar Grundstück a 55 Pfg. pro qm plus Erschließungskosten) und Baukosten von 4.900 RM, also Gesamtkosten von 6.000 RM ausging.
 
Planende Architekten waren die in Sindelfingen etablierten Georg Bürkle, Alfred Hess und Otto Reuff, deren kreative Möglichkeiten sich angesichts der weitgehenden parteiamtlichen Vorgaben aber in engen Grenzen gehalten haben dürften. So entstanden seit Mitte der dreißiger Jahre bis 1940 80 Wohnungen, für eine Stadt mit damals etwa 8.800 Einwohnern ein großes Siedlungsbauprojekt.
 
Allerdings waren die Wohnungsprobleme Sindelfingens damit bei weitem noch nicht gelöst. Im Sommer 1940 beschäftigte sich Bürgermeister Pfitzer auf Anregung des Verbands Württembergischer Wohnungsunternehmen mit „der Vorplanung von Wohnungsbauvorhaben nach dem Krieg“ und legt in diesem Zusammenhang für Sindelfingen einen Fehlbedarf von 500 Wohnungen zugrunde. Tatsächlich wurden mit zunehmender Kriegsdauer sämtliche Planungen für den Wohnungsbau wegen Material- und Arbeitskräfteknappheit eingestellt.  Unter welchen Vorzeichen der Wohnungsbau in der Nachkriegszeit dann tatsächlich stattfinden musste, das hat Bürgermeister Pfitzer im Sommer 1940 sicher noch nicht geahnt.
 
Abbildungen / Ausstellungsstücke
Postkarten, Fotos Pläne Zeitungsartikel 04.06.1940

(Text: Horst Zecha)

Quelle Foto: Strähle Luftbild Aufnahme vom 24.8.1936. Vorne Fronäckersiedlung, im Hintergrund Zimmerplatzsiedlung
Quelle Foto: Strähle LuftbildAufnahme vom 24.8.1936. Vorne Fronäckersiedlung, im Hintergrund Zimmerplatzsiedlung

Mai 1940 – Mai 2020: Ein HJ-Heim für Sindelfingen

Die Hitler-Jugend (HJ) gehörte wohl zu den bekanntesten nationalsozialistischen Organisationen. Nach der Machtergreifung wurde sie fest im NS-Staat institutionalisiert und ihr nahezu alle Jugendvereine und -organisationen einverleibt. Die HJ beeinflusste die Erziehung und das Weltbild von Jungen und Mädchen zwischen zehn und 18 Jahren. Ihren „Führern“ wurde neben Schule und Elternhaus das Erziehungsmonopol übertragen.
Ziel der HJ war es, die Jugend „körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zu erziehen“. Vor allem die körperliche Ertüchtigung als Vorbereitung auf den Wehrdienst war fester Bestandteil des „Lehrplanes“. Während man versuchte, die Jungen für alles Soldatische zu begeistern, wurden die Mädchen in das Rollenbild der Hausfrau und Mutter gezwängt. Die ideologische Erziehung fand während des „Heimunterrichts“ statt und befasste sich mit einer heroisierten Form der deutschen Geschichte, der nationalsozialistischen Rassenlehre und Schmähungen gegen den Versailler Vertrag.
Die HJ entwickelte sich in kurzer Zeit zu einer Millionenorganisation. Auch der Anteil der in der HJ organisierten Schüler der Sindelfinger „Adolf-Hitler-Oberschule“ (heute Goldberg-Gymnasium) stieg zwischen 1936 und 1939 von 64 auf 99 Prozent. Wie alle NS-Organisationen war auch die HJ nach dem „Führerprinzip“ aufgebaut. Getreu dem Grundsatz „Jugend führt Jugend“ übernahmen ältere Schüler die Führung von jüngeren. Über ein Viertel der Schüler der „Adolf-Hitler-Oberschule“ bekleidete solche HJ-Positionen im Kreis Böblingen.
 
Aufgrund ihres rasanten Aufstiegs war die HJ im Deutschen Reich größtenteils in Notbehelfen untergekommen. Gleiches galt für die 640 Sindelfinger Jungen und Mädchen, die im Frühjahr 1939 in der HJ organisiert waren. Treffen fanden mittwochs und samstags statt. Die zehn- bis 14-jährigen wurden hierzu eigens von der samstäglichen Schulpflicht befreit. Für Ausflüge in den Wald wurde eine Hütte im Spitzholz und eine „Waldhütte an der Straße nach Leonberg“ genutzt. Für den Samstagsdienst wurden acht Schulräume in der Volksschule beansprucht und ein Dienstzimmer eingerichtet. Zusätzlich belegte die HJ Räume im Alten Rathaus und in einem Jugendhaus in der Ziegelstraße. Für Sport wurde die Halle des VfL Sindelfingen in Anspruch genommen. Diese dezentrale Unterbringung in Gebäuden des „alten Systems“ war der Reichsjugendführung ein Dorn im Auge. Daher erklärte sie das Jahr 1937 zum „Jahr der Heimbeschaffung“, mit dem Ziel, repräsentative HJ-Heime zu schaffen, die den Geist des neuen nationalsozialistischen Deutschlands verkörpern sollten. Hierzu formulierte die HJ in einem Sonderheft der württembergischen Zeitschrift „Führerdienst“ architektonische Ansprüche.
Die Aktion schien auch in Sindelfingen Widerhall zu finden, denn im Oktober 1937 ging bei der Stadtverwaltung eine Bauplatzanfrage der HJ ein. Die Stadt wählte einen Bauplatz im Eichholz aus, an dem sich heute das Alten- und Pflegeheim „Haus Eichholzgärten“ befindet. In der Gemeinderatssitzung vom 30. Mai 1940 präsentierte der Bürgermeister erste Entwürfe des beauftragten Architekten Ernst Dobler aus Stuttgart. Die geplante Anlage hatte riesige Ausmaße: 24 Scharräume, vier Gefolgschaftsräume und eine Festhalle. Herzstück der Anlage sollte überdies eine „Ehrenhalle“ sein, in der mit Fahnen und Symbolen der Geist des Nationalsozialismus wie in einem Schrein verehrt werden sollte und in dessen Zentrum eine Büste Adolf Hitlers stehen würde. Dass dieser Entwurf für das damals 8.500 Einwohner zählende Sindelfingen überdimensioniert war, sah auch die Stadtverwaltung ein. Gegen den Widerstand des HJ- Gebietsleiters Uhland wurde die Anzahl der Scharräume reduziert und die Festhalle gestrichen. Als im Kriegsverlauf ein Baustopp verordnet und der Architekt zum Kriegsdienst eingezogen wurde, beschloss die Stadtverwaltung, das Projekt erst nach (siegreicher) Beendigung des Krieges fortzuführen. Anderen HJ-Heimen muss es ähnlich gegangen sein. Jedenfalls blieb die Heimbeschaffungspolitik der Reichsjugendführung weit hinter ihren Ansprüchen zurück. Von den geforderten 50.000 Heimen wurden nur etwas mehr als 1.000 gebaut.
 
(Verfasser: Oliver Weth)

Auszug aus der Niederschrift des Gemeinderats 30.05.1940.  Im Herbst 1941 erfolgte der Beschluss, das Vorhaben erst nach Ende des (siegreichen) Krieges fortzuführen.  (Stadtarchiv Sindelfingen)
Auszug aus der Niederschrift des Gemeinderats 30.05.1940. Im Herbst 1941 erfolgte der Beschluss, das Vorhaben erst nach Ende des (siegreichen) Krieges fortzuführen. (Stadtarchiv Sindelfingen)
Der Lageplan, erstellt um 1938, zeigt umfassende Planungen zum Bau des HJ-Heims und seines Umfeldes. So war die Straßenführung direkt auf die neue Anlage ausgerichtet.  Das HJ-Heim sollte im Gebiet, das heute als "Schleicher" bekannt ist, errichtet werden. Heute befindet sich an dieser Stelle das Pflege- und Altenheim "Haus Eichholzgärten". (Stadtarchiv Sindelfingen)
Der Lageplan, erstellt um 1938, zeigt umfassende Planungen zum Bau des HJ-Heims und seines Umfeldes. So war die Straßenführung direkt auf die neue Anlage ausgerichtet. Das HJ-Heim sollte im Gebiet, das heute als "Schleicher" bekannt ist, errichtet werden. Heute befindet sich an dieser Stelle das Pflege- und Altenheim "Haus Eichholzgärten".(Stadtarchiv Sindelfingen)
Sindelfinger HJ auf Fahrt (Foto: privat)
Sindelfinger HJ auf Fahrt (Foto: privat)

April 1940 – April 2020: Der Film unter dem Hakenkreuz

„Frau nach Maß“ (1940) zählt zu den ca. 1000 Spielfilmen, die während des NS-Regimes gedreht wurden. Und doch lässt in der Liebeskomödie nichts auf die menschenverachtende NS-Ideologie schließen. Ausgestrahlt wurden diese Filme auch im 1938 neugebauten Filmtheater in der Sindelfinger Gartenstraße 33. Im modernen Kinosaal für bis zu 374 Besucher fanden Vorstellungen in der Regel freitags bis montags statt. Der ausgestrahlte Film wurde wöchentlich gewechselt und in der Sindelfinger Zeitung beworben. Wie überall im „Dritten Reich“ waren auch die Sindelfinger eifrige Kinogänger. Besonders beliebt: Ausgaben des Illustrierten Film-Kuriers, der in charmanten Sammelheften einzelne Filme porträtierte und von vielen Sindelfingern gesammelt wurde. Doch auch unpolitische Unterhaltungsfilme wie „Frau nach Maß“ werfen dunkles Licht auf die NS-Filmpolitik.
Unmittelbar nach der Machtergreifung im Januar 1933 begannen die Nationalsozialisten durch eine Reihe von Maßnahmen das gesamte gesellschaftliche und politische Leben in Deutschland gemäß ihrer Ideologie umzugestalten. Die bis dato bunte Filmindustrie der Weimarer Republik wurde von diesen Gleichschaltungsbestrebungen nicht verschont.
Zuständig für die nationalsozialistische Filmpolitik waren das neugegründete Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und die Reichsfilmkammer. Beiden Einrichtungen stand der selbsternannte „Schirmherr des deutschen Films“, Joseph Goebbels, vor. Goebbels, seit jeher fasziniert vom Film, hatte bereits vor der Machtergreifung das Potenzial des Films zur Volksbeeinflussung erkannt. Als Propagandaminister verfolgte er eine radikale Politik der „Arisierung“, Zensur und Verstaatlichung der deutschen Filmlandschaft.
Die Gründung einer Zwangsberufsgenossenschaft für Filmschaffende zählte hierbei zu den ersten Maßnahmen. Ausgeschlossen wurden insbesondere jüdische Künstler und Systemkritiker. Dies kam faktisch einem Berufsverbot gleich. In der Folge emigrierten ca. 1500 Filmschaffende aus Deutschland. Viele Künstler, die nicht rechtzeitig flüchten konnten, wurden ermordet.
Die Nationalsozialisten betrieben eine umfangreiche Filmzensur, die insbesondere eine politische Stoßrichtung hatte. Neben der Überprüfung bereits abgedrehter Streifen wurde des Weiteren ein Reichsfilmdramaturg eingesetzt, dessen Aufgabe darin bestand, Drehbücher und Filmentwürfe zu zensieren. Filmunternehmen wurden zu Zusammenschlüssen gedrängt, sodass 1942 lediglich der UFI-Konzern als staatseigene Produktionsgesellschaft übrigblieb. Bei Spielfilmen war der Anteil der offenkundigen Propagandafilme mit ca. 10-15% relativ gering und sank während der zweiten Kriegshälfte nochmals merklich. Die meisten Werke waren Unterhaltungsfilme, in denen nationalsozialistische Alltagssymbolik wie Uniform, Hakenkreuz und Hitlergruß nur selten vorkam. Dies hatte jedoch politisches Kalkül: Propaganda und Indoktrination durchzogen bereits übrige Teile des gesellschaftlichen Lebens. Unterhaltungsfilme sollten hierzu als Ablenkung dienen und insbesondere zu Kriegszeiten die Illusion einer „heilen Welt“ erzeugen. Gerade deshalb war die Naziführung darauf bedacht, den Kinobetrieb so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Die zahllosen Kinosäle wurden, wie auch in Sindelfingen, überwiegend privat betrieben, unterlagen jedoch strengen Auflagen.
Über das Maß der Einflussnahme des Propagandaministeriums auf Unterhaltungsfilme wird bis heute diskutiert. Es gibt Beispiele dafür, dass Goebbels persönlich in Drehbücher eingriff. Andererseits berichten Regisseure auch von künstlerischer Freiheit. Auch wenn nicht alle Filme, die zwischen 1933 und 1945 gedreht worden sind, propagandistische Werke sind, so sind sie dennoch vor dem Hintergrund der Zeit ihrer Entstehung zu betrachten. Nach der Auffassung Goebbels, hatte Unterhaltung eine ausdrücklich politische Funktion; und so kann auch der cineastisch wertvolle, scheinbar unpolitische Unterhaltungsfilm dazu beitragen, von Diktatur, Unterdrückung und Krieg abzulenken.

(Verfasser: Oliver Weth absolviert im Kulturamt eine Praxisphase im Rahmen seines Verwaltungsstudiums. Zuvor studierte er einige Semester Geschichte)

Illustrierter Film-Kurier, 1940  Die Liebeskomödie „Frau nach Mass“ beruht auf einem Bühnenstück von Eberhard Foerster. Hinter dem Namen verbirgt sich Erich Kästner, der seit 1933 Berufsverbot hatte.  Der Illustrierte Film-Kurier (1919-1944) war Vorbild für spätere Kinoprogramme. In grafisch aufwendiger Gestaltung wurden in den mehrseitigen Heften Filminhalte attraktiv dargestellt.  Auch in Sindelfingen waren sie als Sammelobjekte begehrt. Im Jahr 1940 kostete ein Heft 10 Pfennig.  Scan: Stadtmuseum Sindelfingen
Illustrierter Film-Kurier, 1940
Die Liebeskomödie „Frau nach Mass“ beruht auf einem Bühnenstück von Eberhard Foerster. Hinter dem Namen verbirgt sich Erich Kästner, der seit 1933 Berufsverbot hatte. Der Illustrierte Film-Kurier (1919-1944) war Vorbild für spätere Kinoprogramme. In grafisch aufwendiger Gestaltung wurden in den mehrseitigen Heften Filminhalte attraktiv dargestellt. Auch in Sindelfingen waren sie als Sammelobjekte begehrt. Im Jahr 1940 kostete ein Heft 10 Pfennig.
Scan: Stadtmuseum Sindelfingen
Anzeige in der Sindelfinger Zeitung, 1940Am 26. April 1940 kam der Film „Sommer, Sonne, Erika“ ins Sindelfinger Kino. Filmwerbung erschien damals fast täglich in den Zeitungen. Scan: Stadtarchiv Sindelfingen
Anzeige in der Sindelfinger Zeitung, 1940
Am 26. April 1940 kam der Film „Sommer, Sonne, Erika“ ins Sindelfinger Kino. Filmwerbung erschien damals fast täglich in den Zeitungen.
Scan: Stadtarchiv Sindelfingen

März 2020 / März 1940: Propagandamaschinerie auf Hochtouren

Mit dem deutschen Überfall auf Polen begann am 1.September 1939 der Zweite Weltkrieg. Entsprechend ihrer Bündnisverpflichtungen erklärten Frankreich und England am 3.September dem Deutschen Reich den Krieg. Allerdings war diese Kriegserklärung zunächst nur mit geringen Kampfhandlungen an der Westfront verbunden. Während von der deutschen Propaganda für den schnellen Sieg über Polen der Begriff „Blitzkrieg“ geprägt wurde, wurde die zeitgleiche Situation an der deutsch-französischen Front häufig ironisierend als „Sitzkrieg“ bezeichnet. „Drôle de guerre“ – „komischer Krieg“ war die Bezeichnung, die sich auf französischer Seite für die Verhältnisse im Winter 1939/40 einbürgerte.
Zwar waren die Kampfhandlungen an der Westfront vergleichsweise gering, umso intensiver beschäftigte sich aber die nationalsozialistische Propagandamaschinerie mit den westlichen Alliierten, vor allen Dingen mit England. Jeden Tag findet sich in der Zeitung eine Vielzahl von Artikeln, in denen wahlweise englische Politiker als Lügner oder die englische Kriegsführung als brutal und völkerrechtswidrig angeprangert wird. Dabei treten zwei propagandistische Stoßrichtungen besonders auffällig hervor:
Zum einen schwingt sich die deutsche Propaganda zum Fürsprecher der englischen Kolonialvölker auf und prangert deren Unterdrückung an. So gibt es beispielsweise in der Sindelfinger Zeitung vom 6.März 1940 einen ausführlichen Artikel über indische Arbeiter, die wegen der schlechten Behandlung durch die britische Kolonialregierung in den Streik getreten sind, und auch in den folgenden Wochen gibt es viele Ausgaben, in denen die britische Kolonialpolitik unter der Vorspiegelung humanitären Interesses an den unterdrückten Völkern thematisiert und propagandistisch ausgeschlachtet wird.
Auch die zweite, in Variationen immer wieder aufgegriffene propagandistische Stoßrichtung kann nicht überraschen: sie stellt die Verbindung der als „internationalistisch“ verteufelten englischen Politik mit der in der NS-Propaganda allgegenwärtigen „Jüdischen Weltverschwörung“ her. So ist ein Artikel in der Sindelfinger Zeitung am 7. März beispielsweise „Englands Krieg ist Judas Krieg“ überschrieben. So abstrus uns die Herstellung solcher Zusammenhänge und die Krokodilstränen über koloniale Unterdrückung heute erscheinen mögen, sollte man die Wirkung dieser massiven Dauerbeeinflussung nicht unterschätzen.
Wie perfide und skrupellos die NS-Propaganda im Frühjahr 1940 vorging, wird anhand zahlreicher Artikel deutlich, in denen England vorgeworfen wird, permanent die niederländische und belgische Neutralität zu verletzen. Dabei lagen die deutschen Pläne, einen Sieg über Frankreich mit Hilfe eines Angriffs über die neutralen Länder Belgien und Holland zu erreichen, längst in der Schublade.
 

(Verfasser: Horst Zecha)

Februar 2020 / Februar 1940: Die Kraft der Musik

Die Sindelfinger Bevölkerung strömte am Wochenende des 10./11. Februars 1940 zahlreich in die Turnhalle des VfL im Eichholz. Von den NSDAP Ortsgruppen Eichholz und Goldberg wurde ein unterhaltsames Konzert zu „Ehren der Ausmarschierten“ veranstaltet. Die Musikstücke reichten von Klassik über Operetten bis hin zu Soldatenliedern und Liedern der „heiteren Muse“. Den Abschluss machte das Propagandalied „Fahrt nach Engeland“.
In der Ankündigung des Konzerts erfahren die Zeitungsleser Interessantes über die Entwicklung der „neuen Soldatenlieder“. „Diese Lieder sollen keine formvollendeten Dichtungen und Musikwerke sein. Aber man erwartet von ihnen Sauberkeit, Echtheit, natürliche Volkstümlichkeit…“ (Sindelfinger Zeitung 7.2.1940)
 
Mit der Gründung der Reichskulturkammer am 23.9.1933 unter dem Präsidenten Joseph Goebbels erfolgte die „Gleichschaltung“ und die Kontrolle des Kulturbetriebs. Die größte Einzelkammer war die Reichsmusikkammer. Für Musiker war die Mitgliedschaft Pflicht. Sie mussten politisch unbelastet sein und einen Ariernachweis vorlegen. Die Nichtmitgliedschaft war gleichbedeutend mit einem Berufsverbot.
 
Musik spielte im Alltag eine wichtige Rolle, wie umfangreiche Liederhefte der verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen zeigen. So z.B. „Lieder der Hitlerjugend“. Vor allem dem gemeinsamen Singen als einfachster Art des Musizierens kam eine besondere Bedeutung zu. Der Musikunterricht in der Schule wurde in dieser Zeit ausgebaut. „In allen Schulgattungen werden die Kampflieder der Bewegung gesungen… Hier ist schon manches neues Lied aus der SA, dem freiwilligen Arbeitsdienst, der HJ in die Schulmusik eingegangen.“ (Josef Müller-Blattau, 1934)
 
Neben der Schule wurde in den Betrieben, in der Freizeit, bei den Jugendorganisationen und Großveranstaltungen musiziert. Die Musik bewirkte ein Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gemeinschaft vor allem auch während des Krieges: „In einer Zeit, in der der gesamten Nation so schwere Lasten und Sorgen aufgebürdet werden, ist auch die Unterhaltung staatspolitisch von besonderem Wert“. (Goebbels 1941)
 
Das Programm des Sindelfinger Konzerts zeigt klar, dass der Aspekt der Unterhaltung eine wichtige Rolle im Nationalsozialismus spielte. Ziel war die Ablenkung von den Sorgen des Alltags. Im Verlauf des Krieges reagierte die Bevölkerung zunehmend kritisch auf Liedertexte, die den Kriegsalltag konterkarierten. Ein Beispiel ist das Lied „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei“ von F.Raymond (1942). Es erhielt mehrere Umdichtungen wie z.B. "Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, zuerst Adolf Hitler, dann seine Partei" oder "... mein Mann ist in Rußland, ein Bett ist noch frei"
 
(Verfasserin Illja Widmann)

Januar 2020 / Januar 1940: „Ehemann im Lager verstorben – näheres durch Polizei“

Das Schicksal des Wilhelm Brendle
 
Die Gedenktafel für die Sindelfinger NS-Opfer neben dem Haupteingang des Rathauses dokumentiert eindrücklich, wie sehr die nationalsozialistische Terrorherrschaft auch in einer Kleinstadt wie Sindelfingen ihre Spuren hinterlassen hat.
 
Ein Name, der auf dieser Tafel zu finden ist, ist der von Wilhelm Brendle. Von seiner Familie und von den Nachbesitzern seines Hauses in der Uhlandstraße sind zahlreiche Originaldokumente ins Sindelfinger Stadtarchiv gelangt, so dass wir seinen Lebens- und Leidensweg detailliert nachvollziehen können.
 
Wilhelm Brendle wurde 1889 in Rommelsbach geboren und kam 1919 nach Sindelfingen,  wo er sich der Kommunistischen Partei (KPD) anschloss und für diese auch öffentlich in Erscheinung trat. 1931 kandidierte er für einen Sitz im Sindelfinger Gemeinderat.
 
Nachdem die Nationalsozialisten kurz nach Ihrer Machtergreifung den Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 zum Vorwand für die Zerschlagung der demokratischen Parteien genommen hatten, wurden zahlreiche Mitglieder und Funktionäre vor allem der KPD und der SPD verhaftet. Auch Wilhelm Brendle wurde inhaftiert und bis Juli 1933 im Konzentrations-lager auf dem Heuberg (Schwäbische Alb) festgehalten.
Familienmitglieder und Bekannte berichten, dass Wilhelm Brendle und seine Familie in der Folgezeit immer wieder Schikanen und Repressionen ausgesetzt waren. Nach einem Treffen mit ehemaligen Parteifreunden im August 1935 wurde Wilhelm Brendle erneut verhaftet und vom Amtsgericht Stuttgart zu zweieinhalb Jahren Gefängnis wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt. Nach Verbüßung der Haftstrafe folgte aber, wie in vielen anderen Fällen auch, nicht die Freilassung, sondern die Verbringung in ein Konzentrationslager. So führte der Weg von Wilhelm Brendle schließlich im Herbst 1939 ins österreichische KZ Maut-hausen. Von dort erhielt seine Frau am 25. Januar 1940 ein kurzes Telegramm: „Ehemann im Lager verstorben – näheres durch Polizei.“ Auf die Nachfrage nach der Todesursache ihres Mannes erhielt Maria Brendle im Februar 1940 ebenfalls nur eine lapidare Nachricht, die mit den tatsächlichen Verhältnissen nichts zu tun hatte: „Der am 25.01.40 verschiedene W.B. stand hier in Behandlung wegen einer Adernverkalkung bei Bluthochdruck. Trotz aller ärztlichen Bemühungen verstarb B. an den Folgen eines Gehirnschlages.“
Eine „ärztliche Behandlung“ und „ärztliche Bemühungen“ sind angesichts der Zustände in den Konzentrationslagern kaum vorstellbar, und so muss die wahre Todesursache offen bleiben. Durch die Einäscherung des Leichnams wurden auch alle späteren Untersuchungen unmöglich gemacht.
 
Wenige Tage vor seinem Tod, am 14. Januar 1940, hatte Wilhelm Brendle den letzten (selbstverständlich zensierten) Brief aus dem KZ Mauthausen an seine Familie gesandt. Dort schreibt er unter anderem: „Hoffe, dass ihr alle noch gesund seid, was ich von mir soweit auch berichten kann.“ Die Hoffnung, die Wilhelm Brendle in den ersten Zeilen des Briefes ausdrückt, hat sich für ihn und seine Angehörigen nicht mehr erfüllt: „Meine liebe gute Maria und alle Lieben in der Heimat! Ein Neues Jahr ist wiederum herangekommen, was wird es uns bringen? Hoffen wir den Völkerfrieden und die lang und heiß ersehnte Freiheit.“
 
(Verfasser Horst Zecha)

Dezember 2019 / Dezember 1939: Die erste Kriegsweihnacht

Jenseits der großen, von der NS-Propaganda geprägten Überschriften sind es in den Tageszeitungen vom Dezember 1939 eher die kleinen, unscheinbaren Kurzmeldungen, aus denen deutlich wird, dass sich das alltägliche Leben und damit auch die Vorbereitungen auf das alljährliche Weihnachtsfest durch den Krieg verändert hatten.
In der Sindelfinger Zeitung vom 9. Dezember findet sich unter der Überschrift „Mehl für die Weihnachtsbäckerei“ folgender Hinweis: „Für die Weihnachtsbäckerei soll den Verbrauchern die Möglichkeit gegeben werden, Mehl an Stelle von Brot zu beziehen.“ In der Folge wird das Verfahren dazu genauestens beschrieben. Notwendig wurde dieser Hinweis, weil diverse Lebensmittel, darunter auch Brot, seit Kriegsbeginn nur noch gegen die Vorlage von zugeteilten Bezugskarten verfügbar waren.
In der gleichen Ausgabe wird unter der Überschrift „Praktische und schöne Geschenke, die Freude machen“ erläutert, welches die richtigen Weihnachtsgaben für die Soldaten im Feld sein könnten. U.a. heißt es dort: „Heute, wo Mann, Sohn oder Bruder im Felde stehen, wird die Frage der Geschenkwahl verstärkt auftauchen. (…) In Wirklichkeit ist dies gar nicht so schwer; denn bei einiger Überlegung lässt sich vielerlei finden. Nur allzu umfangreich dürfen die Gaben nicht sein, damit sie das zulässige Feldpostgewicht des 1-Kilo-Päckchens nicht überschreiten. (…) Lesestoff ist im Felde immer willkommen. Der Buchhändler hilft gerne bei der Auswahl, wenn man ihm sagt, ob der Empfänger ernste oder heitere Kost bevorzugt.“
Ob die Frauen, deren Männer zur Wehrmacht eingezogen waren, tatsächlich nicht selbst am besten wussten, was notwendig und sinnvoll ist, sei dahingestellt. Aber auch die Empfehlungen des angesprochenen Buchhändlers sollten nicht dem Zufall überlassen werden. So finden sich sowohl am 9. als auch am 16. Dezember 1939 Empfehlungen der NSDAP-Kreisleitung unter der Überschrift „Bücher auf den Weihnachtstisch!“ Titel wie „Der Führer und sein Werk“, „Nationalsozialistische Leistungsauslese“ oder „Die Judengesetze Großdeutschlands“ lassen erahnen, dass es sich um Propagandaschriften der schlimmsten Sorte handelt.
Am 23. Dezember wird in der Sindelfinger Zeitung darauf hingewiesen, dass auf dem Balkon des Rathauses [heutige Galerie] selbstverständlich wieder der traditionelle Weihnachtsbaum aufgestellt sei, allerdings wegen der Verdunklungsanordnung in diesem Jahr ohne Beleuchtung.
Ebenfalls am 23. Dezember druckte die Sindelfinger Zeitung ein Gedicht des damaligen Sindelfinger Gewerbeschulleiters Eduard Eisele ab, das zeigt, wie perfekt es der nationalsozialistischen Propaganda mittlerweile gelungen war, auch in die Gedankenwelt gebildeter und reflektierter Menschen vorzudringen. In pathetischen Worten gibt Eisele die NS-Ideologie vom unterdrückten Volk auf der Suche nach Lebensraum wider:
„Und wieder ist das Weihnachtsfest nun da,
Wir steh’n in Waffen, denn der Feind ist nah!
Die Welt ist krank, sie liegt in bösen Wehen,
Sie kann die Wahrheit und uns Deutsche nicht verstehen.
Die Welt ist kalt wie Wintersnacht und – Grausen,
Man gönnt uns Licht und Leben nicht, da draußen,
Man will mit Mord und Krieg und eitler List
Vernichten, was uns Deutschen heilig ist.“
 
Auch wenn die Zeit der Luftangriffe und des unmittelbaren Kriegserlebens noch fern war – es war keine fröhliche Weihnachtszeit mehr, die die Sindelfingerinnen und Sindelfinger 1939 erlebten.
 
(Verfasserin Illja Widmann)

November 2019 / November 1939: Allgegenwärtig – der Einfluss der NSDAP

Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) wurde bereits 1920 gegründet und nach der Machtübernahme Hitlers 1933 zur alleinigen Staatspartei etabliert. Zunehmend wurde berufliches und gesellschaftliches Fortkommen in den dreißiger Jahren an die NSDAP-Mitgliedschaft geknüpft. Bei Kriegsende 1945 hatte die NSDAP etwa 8,5 Millionen Mitglieder.
 
Eigentlich war es nur eine nachrangige Personalfrage, die in der Sindelfinger Gemeinderatssitzung vom 16. November 1939 entschieden werden sollte, doch selbst hierbei wird der allgegenwärtige Einfluss der NSDAP deutlich: Unter dem Betreff „Kläranlage“ wird protokolliert: Der Bürgermeister beabsichtigt „in erster Linie den S. anzustellen, sofern er in politischer Beziehung einwandfrei ist…Vor endgültiger Entscheidung wird der Bürgermeister ein politisches Führungszeugnis von S. einverlangen.“
Bis zur nächsten Gemeinderatssitzung am 14. Dezember hatte sich allerdings ein überraschend neuer Sachverhalt ergeben. Das Protokoll hält fest: „Außer den in der Beratung vom 16. November 1939 mitgeteilten Bewerbern hat sich nachträglich noch der Schlosser K. von hier um die Stelle des Kläranlagenwärters beworben. K. ist seit 1934 in Sindelfingen wohnhaft und seither auch in der Ortsgruppe der NSDAP tätig. Der Bewerber S. tritt mit seiner Bewerbung zurück, sofern K. die Stelle übertragen erhalten soll. Nach Beratung und vorheriger Rücksprache mit den Ortsgruppenleitern [der NSDAP] beabsichtigt der Bürgermeister (…) die Stelle des Kläranlagenwärters dem Bewerber K. zu übertragen.(…) Die Ratsherren sind mit der Anstellung des K. einverstanden.“
Die Frage, ob der Rückzug des ursprünglichen Bewerbers freiwillig geschah muss ebenso offen bleiben wie die Frage, welche Rolle die fachliche Qualifikation (noch) gespielt hat.
 
Am 27.11.1939 erhielt ein Mitarbeiter des hiesigen Daimler-Benz-Werks Post von der Personalabteilung. Unter der Überschrift „Lehrstellengesuch“ wurde folgendes ausgeführt: „Wir nehmen Bezug auf das Gesuch um Einstellung Ihres Sohnes als Lehrling im Frühjahr 1940 und teilen Ihnen mit, dass wir uns nach Abschluss der Eignungsprüfung bereit erklärt haben, Ihren Sohn in unsere Abteilung Metallbearbeitung einzustellen. Der Eintritt erfolgt am 1. April 1940.
Beim Eintritt sind mitzubringen: Steuerkarte für 1940,(…), HJ-Ausweis,(…)
 
Es wird deutlich, dass nicht nur im Staatsdienst, sondern auch in Wirtschaftsunternehmen die Mitgliedschaft in der NSDAP und ihren angegliederten Verbänden Voraussetzung für eine Neueinstellung war. Der genannte HJ-Ausweis war der Nachweis für die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend. Die Jugendorganisation der NSDAP war bereits 1926 gegründet worden und umfasste im Jahr 1938 rund 8,7 Millionen Mitglieder und damit fast alle Kinder und Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren im Deutschen Reich. Vorrangige Ziele der Hitlerjugend waren die ideologische Vereinnahmung und die vormilitärische Ausbildung.
 
Dass es mit dem Nachweis der HJ-Mitgliedschaft im Hinblick auf die avisierte Lehrstelle alleine noch nicht getan war, wird aus einem zweiten Schreiben deutlich, das am 14. März 1940 an den besagten Mitarbeiter des Daimler-Benz-Werks ging: „Im Anschluss an unser Einstellungsschreiben teilen wir Ihnen mit, dass der Lehrling … am Eintrittstage Montag, den 1. April 1940 vormittags 8 Uhr in H.J. Uniform zu erscheinen hat.“
 
Kommen wir am Ende des Beitrags nochmals auf die eingangs zitierte Gemeinderatssitzung vom 16. November 1939 zurück. Unter dem Betreff „NSDAP“ wird dort vermerkt: „Die Ortsgruppen der NSDAP müssen während der Dauer des Krieges ihre Mitgliedsbeiträge restlos an die Gauleitung abführen. Die Ortsgruppenleitungen bitten daher während der Dauer des Krieges um Nachlass der Miete für die Geschäftsräume im Schwanengebäude [ehemaliger Standort gegenüber heutiger Stadtbibliothek] und im Gebäude Adolf-Hitler-Platz [heute Marktplatz] 5. Im Einvernehmen mit den Ratsherren ergeht folgende Entschließung des Bürgermeisters: Den hiesigen Ortsgruppen der NSDAP werden vom 1. Oktober 1939 an für die Dauer des Krieges die Mietzinsen für die von der Stadt gemieteten Geschäftsräume erlassen.“
Weder Bürgermeister Pfitzer noch die Ratsherren dürften an diesem 16. November 1939 geahnt haben, dass nie mehr eine NSDAP-Ortsgruppe für städtische Räumlichkeiten Miete bezahlen würde.
 
(Verfasser Horst Zecha)
 

Oktober 2019 / Oktober 1939: Eintopfsonntag und Winterhilfswerk als Propagandainstrumente

„Erster Opfersonntag im Kriegs WHW. Im Gedenken an die eherne Front. Am gestrigen Sonntag wurde in jedem deutschen Haushalt und in jeder Gaststätte, in den Speisewagen der Deutschen Reichsbahn und auf allen deutschen Schiffen der Eintopf gegessen. Und von diesem symbolischen gemeinsamen Essen kreisten die Gedanken hinaus zu den feldgrauen Männern, die draußen als eherne Front die Wacht an unseren Grenzen halten und alltäglich ihren Eintopf essen und auf viele Annehmlichkeiten des heimischen Alltags verzichten müssen…“ So klang es am Montag, den 23. Oktober 1939 in der Sindelfinger Zeitung.
 
Das Winterhilfswerk (WHW) organisierte am Tag zuvor, dem 22. Oktober 1939 zum ersten Mal den sogenannten „Opfersonntag“. Alle Menschen im Deutschen Reich waren angehalten aus Solidarität mit den Soldaten auf ein reichhaltiges Sonntagsmahl zu verzichten und wie die Soldaten einen einfachen Eintopf zu sich nehmen. Damit sollten sich die Menschen in Verzicht und Entbehrung üben und ihre Opferbereitschaft bekunden.
 
Im Oktober 1933 wurden die „Eintopfsonntage“ eingeführt. Sie fanden regelmäßig von Oktober bis März einmal im Monat statt. Ziel war die Stärkung der „Volksgemeinschaft“ und des Zusammengehörigkeitsgefühls. Die Aktion, die durch die NS Volkswohlfahrt erfolgte, wandte sich gegen die bürgerliche Sitte des gemeinsamen großen Sonntagsmahls in der Familie. Mit bunten Plakaten wollte man vor allem Kinder zur Teilnahme bewegen und kontrollierte dies dann in der Schule.
Die Eintopfsonntage dienten neben der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls vor allem zur Spendeneinwerbung. Der Eintopf sollte maximal 50 Pfennig kosten. Die Differenz gegenüber einem regulären Sonntagsessen musste gespendet werden und kam dem Winterhilfswerk zugute. Auch Restaurants boten Eintopfgerichte an.
 
Die erste Sammelaktion für das Winterhilfswerk erfolgte am 13.September 1933. Bis 1943 sammelten über eine Million Menschen regelmäßig auf der Straße und an der Haustüre Spenden ein. Als „Dank“ erhielt man eine Plakette. Wer kein aktuelles Abzeichen trug, wurde verdächtigt, nicht gespendet zu haben. Die Marketingidee war sehr erfolgreich, da sie die Sammelleidenschaft ansprach. Es wurden jeweils verschiedene Serien herausgegeben. Im Winterhalbjahr 1939/40 wurden 680 Millionen Reichsmark gespendet (heutiger Gegenwert ca. drei Milliarden Euro). Ein Großteil der „Spende“ wurde den Arbeitnehmern bereits mit dem Gehalt abgezogen und weitergeleitet.
Das Winterhilfswerk war ein zentrales Mittel der NS-Volkswohlfahrt, die über die Verteilung der Gelder frei verfügen konnte. Zunächst konnten sich alle Bedürftigen um Unterstützung bemühen, seit 1935 waren jedoch Juden ausgeschlossen und im Laufe der nächsten Jahre wurden nur noch „Erbgesunde“ unterstützt.
 
Einen Einblick in die Realität zeigt das Gedicht von Bertolt Brecht aus „Furcht und Elend des Dritten Reichs“
Die Winterhelfer treten
Mit Fahnen und Trompeten
Auch in das ärmste Haus.
Sie schleppen stolz erpreßte
Lumpen und Speisereste
Für die armen Nachbarn heraus.

Die Hand, die ihren Bruder erschlagen
Reicht, daß sie sich nicht beklagen
Eine milde Gabe in Eil.
Es bleiben die Almosenwecken
Ihnen im Halse stecken
Und auch das Hitlerheil
(Verfasserin Illja Widmann)

September 2019 / September 1939: Der Krieg – vom ersten Tag an organisiert

Wenn wir die Sindelfinger Zeitung vom 1. September 1939 betrachten, finden wir dort eine ganze Reihe von Bekanntmachungen, was sich mit Beginn des Krieges verändert. Das muss zunächst überraschen, da ja Hitler erst an diesem Tag mit seinem legendären Satz „Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen“ den Beginn der Kampfhandlungen verkündete.
Wir wissen, dass sowohl die von Hitler angedeutete Notwehrsituation eine glatte Lüge war, ebenso wie die genannte Uhrzeit.
Bereits seit Jahren hatte die nationalsozialistische Führung zielgerichtet auf einen Krieg hingearbeitet, um sich den in ihren ideologischen Vorstellungen notwendigen „Lebensraum im Osten“ gewaltsam anzueignen. Und ursprünglich hatte Hitler den Angriff auf Polen bereits eine Woche früher, für den 26. August geplant, ihn dann aber mit Rücksicht auf die italienischen Verbündeten nochmals verschoben.
Vor diesem Hintergrund kann es schon weniger verwundern, dass wir in der Sindelfinger Zeitung vom 1. September 1939 schon umfangreiche Informationen zur Einführung von Bezugscheinen und zur Verdunkelung und Luftschutzbereitschaft finden. Die Sindelfinger NSDAP-Ortsgruppen Eichholz und Goldberg informierten über die Ausgabe von Gasmasken am selben Abend um 19 Uhr.
Aufschlussreich ist auch die Information über die sofortige Sperrung der Hauptstraße zwischen Böblingen und Sindelfingen, der Böblinger Allee, für den Durchgangsverkehr. Diese Maßnahme war wohl der Herstellung einer direkten Verbindung der militärischen Anlagen diesseits und jenseits der Straße geschuldet.
Selbst die Buchhandlung Röhm hatte sich offensichtlich schon auf die beginnende militärische Auseinandersetzung vorbereitet und bot in einem Inserat eine Landkarte „Der deutsche Osten und Polen“ zum Preis von 1.20 Mark an, damit auch in der Heimat die Truppenbewegungen nachvollzogen werden konnten.
Auch in den Folgetagen des September 1939 ist – neben den propagandistisch gefärbten Berichten über den Kriegsverlauf im überregionalen Teil – der Lokalteil der Sindelfinger Zeitung gefüllt mit weiteren Hinweisen vor allem zur Kriegswirtschaft und zum Luftschutz. Das Verfahren, welche Lebensmittel und Güter des täglichen Gebrauchs nun nur noch über Bezugsscheine zu erhalten waren, wurde ausführlich erläutert, ebenso die Fragen, was mit verlorenen oder übrig gebliebenen Bezugsscheinen zu geschehen habe.
Für die Benutzung von Kraftfahrzeugen wurden strenge Nutzungsregelungen eingeführt, die „Vergnügungs- oder Spazierfahrten“ ausdrücklich verboten.
Im Zusammenhang mit den Verdunklungsmaßnahmen bot die Buchhandlung Röhm „Abdunkelungspapier“ an. Es finden sich aber auch eher skurril anmutende Verhaltensmaßregeln, wie der folgende Hinweis in der Zeitung vom 27. September: „Die Mahnung, keine Obstreste wegzuwerfen, ist an sich alt. Ihr kommt aber gerade jetzt in der Zeit der Verdunkelung größere Wichtigkeit zu. Die Wahrscheinlichkeit, dass Volksgenossen durch Obstreste zu Fall und damit zu Schaden kommen, ist durch die Dunkelheit nur noch größer.“
Insgesamt entsteht bei der Durchsicht der Lokalteile der Zeitungen vom September 1939 der Eindruck, dass es bei den zahllosen Verhaltenshinweisen nicht nur um die kriegsbedingte Organisation verschiedener Lebensbereiche, sondern auch um die propagandistische Einstimmung der Menschen auf den begonnenen Krieg geht. Ebenso wie militärisch war der Krieg auch propagandistisch von langer Hand vorbereitet und hat sofort auch in den Lebensbereich jedes einzelnen eingegriffen.
 
(Verfasser Horst Zecha)