Projekt „Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg“ des Stadtmuseums und Stadtarchivs Sindelfingen

November 2023 – November 1943
Kriegsberufswettkampf 1943/44

Das Projekt "Vor 80 Jahren - Sindelfingen im Krieg" stellt monatlich wechselnd ein Thema oder ein Objekt aus der Zeit vor 80 Jahren im Stadtmuseum in den Mittelpunkt.
In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv entsteht auf diese Weise ein Blick in die Vergangenheit, der u.a. die Alltagssituation der Menschen damals in den Blick nimmt.
Die Texte sind auch auf der städtischen Homepage nachzulesen.
 
Die Monatsvitrine zum Thema wird ab Freitag, den 24.11. im Stadtmuseum zu sehen sein.

„Euer Einsatz als Beweis für den Glauben an den Sieg“, so lautete der Aufruf Adolf Hitlers an die „schaffende Jugend“ in der NS-Kreiszeitung vom 1. November 1943. Für Januar und Februar 1944 wurde ein sogenannter „Kriegsberufswettkampf“ ausgerufen, an dem sich junge Frauen und Männer in Ausbildung beteiligen sollten.
 
Bereits 1934 bis 1939 fanden unter dem Namen „Reichsberufswettkampf“ zentrale berufliche Leistungswettbewerbe statt, die von der Hitlerjugend (HJ) und der Deutschen Arbeitsfront (DAF) durchgeführt wurden. Dabei standen vier Themenkomplexe im Mittelpunkt: Berufliche Praxis, berufliche Theorie, weltanschauliche Schulung und für Mädchen das Thema Hauswirtschaft. In der Sammlung des Stadtmuseums befinden sich Urkunden und Bewertungsbögen der Weberin Ursula Sebek, die in der hiesigen Webschule ihre Ausbildung machte. Sie nahm 1937 und 1938 jeweils erfolgreich am „Reichsberufswettkampf“ teil. Die Urkunden wurden am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, öffentlich überreicht. Adolf Hitler wird in der Urkunde 1938 wie folgt zitiert: „Es muß unser Ziel sein, den hochwertigen deutschen Arbeiter immer mehr von der primitiven Arbeit wegzuziehen und einer hochwertigen Tätigkeit zuzuführen.“
 
Dieser Aspekt spielt tatsächlich eine wichtige Rolle, als nach einer Pause von vier Jahren Ende 1943 der neue „Kriegsberufswettkampf“ öffentlich bekannt gemacht wurde. Nach dem Kriegsverlauf 1943 und der verheerenden Niederlage bei Stalingrad trat die Reichsjugendführung verstärkt an die Jugend heran.
Der Lehrling an der Heimatfront wurde propagandistisch dem Soldaten an der Front gleichgestellt und an dessen Pflichtgefühl und „kämpferische Ehre“ appelliert. Die Betriebe hingegen sahen sich dem Problem ausgesetzt, dass ihnen zu wenig Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Daher wurden viele Lehrlinge schon früh in der Produktion eingesetzt und brachen ihre Ausbildung ab.
 
Der „Kriegsberufswettkampf“ diente sowohl zur Disziplinierung der Jugendlichen, die in der Ausbildung ihre „soldatische Pflicht“ zu erfüllen hatten, aber auch zur Kontrolle der Betriebe. Die Reichsjugendführung zielte mit dem Wettkampf ebenso darauf ab, „…diejenigen auszulesen, die für Führungsaufgaben im Arbeitsleben geeignet sind.“ So ist es in der NS-Kreiszeitung vom 2. November nachzulesen. Zu den Führungsaufgaben zählte auch die Tätigkeit als Vorarbeiter, der die Arbeit der Zwangsarbeiter überwachen sollte. 
 
Weitere Ziele des „Kriegsberufswettkampfs“ sind „…Steigerung des Leistungswillens,…Hinführung zu einwandfreiem Arbeitsverhalten.“ Offenbar gab es hier Anlass zu Klagen. 
Die Bewertung erfolgte in drei Stufen „Überdurchschnitt – Durchschnitt – Unterdurchschnitt“. Als Ziel wurde ausgegeben, bei 2 Millionen Teilnehmern ca. 50.000 bis 60.000 „Überdurchschnittliche“ zu ermitteln, die dann in „Reichsausleselagern“ eine weitere Förderung erhalten sollten. Die Realität sah jedoch etwas anders aus. Von 2,5 Millionen Teilnehmern gab es nur 373 Sieger auf Reichsebene. Ein weiterer „Kriegsberufswettkampf“ fand nicht mehr statt.
 
(Text Illja Widmann)

(Erstellt am 24. November 2023)