Dezentrales Ausstellungsprojekt der Städtischen Museen Sindelfingen im Rahmen der Biennale 2023
 

„Eine neue Zeit ist angebrochen“ – Sindelfingens Weg in die Moderne 1918-1932

Stadtschultheiß Wilhelm Hörmann blickt Ende 1918 trotz aller Not zuversichtlich nach vorn: „Eine neue Zeit ist angebrochen, wir hoffen, dass sie eine gesunde Bahn gehen möge einer freien glücklichen Zukunft entgegen.“

Wie verläuft das Leben in Sindelfingen, einer kleinen Stadt mit 5.000 Einwohnern, abseits der großen Metropolen in den vermeintlich „Goldenen Zwanzigern“?
Die Hoffnung auf Arbeit „beim Daimler“ lockt Menschen aus ganz Deutschland nach Sindelfingen. Die Zugezogenen sowie die modernen Medien Kino und Radio bringen neue Ideen und Trends aus den Großstädten auch in die „schwäbische Provinz“. Neue politische Entfaltungsmöglichkeiten tun sich auf.
 
Die Ausstellung beleuchtet die Zeitspanne vom Kriegsende 1918 bis zum Ende der Amtszeit von Wilhelm Hörmann im Juni 1932. Die Ereignisse dieser turbulenten Jahre treiben die Entwicklung Sindelfingens entscheidend voran und stellen Weichen für die Zukunft.
 
Auf dem Marktplatz, im Rathaus, auf dem Friedhof und an vielen weiteren Orten im Stadtraum informieren Stelen über die Geschichte und lokale Begebenheiten. Eigens erstellte Soundcollagen vermitteln dabei einen besonderen Zugang. Im Stadtmuseum und im Webereimuseum wird diese spannende Epoche über vielfältige Ausstellungsobjekte, Bild-, Film- und Textzeugnisse lebendig.
 
 

Ausstellungsimpressionen

Alle Fotos: Sim TV, Erika Blehm

Begleitbuch zur Sonderausstellung

Das Buch bietet auf 160 Seiten interessante Einblicke in die 1920er-Jahre in Sindelfingen. 
In 16 Kapiteln befasst sich die Autorin Dr. Michaela Bautz mit diesem prägenden Jahrzehnt der Sindelfinger Stadtgeschichte.

Erstmals ist nun eine so umfassende Zusammenstellung der Zeit vor 100 Jahren verfügbar.
Das Begleitbuch ist zum Preis von 12,50 € im Stadtmuseum, im Webereimuseum und dem i-Punkt zu erwerben.

Illja Widmann und Dr. Michaela Bautz mit dem Begleitbuch in den Händen

Illja Widmann und Dr. Michaela Bautz
Foto: Eddie Langner, KRZ BB

Die Ausstellungsstationen

Das Programm

Download: Flyer & Begleitprogramm (PDF) (554,1 KiB)

100 Jahre Gründung Krankenhaus Sindelfingen am 9.9.1923

Am 9. September 1923 wurde im sogenannten Schwanengarten, am Ort des heutigen Rathauses, das erste städtische Sindelfinger Krankenhaus eingeweiht. Fünf Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde hier ein wichtiger Mosaikstein der Entwicklung hin zu einer modernen Stadt Realität.
 
Bereits 1917 verfasste Stadtschultheiß Wilhelm Hörmann erste Überlegungen zur Einrichtung eines Wöchnerinnenheims, um den Frauen ein sicheres und hygienisches Umfeld zur Geburt zu schaffen. „Ich dachte mir die Sache so:…zu bleibendem Nutzen und Frommen für das nach den harten Blutopfern und Verlusten so sehr der Schonung und Pflege bedürftige junge Geschlecht ein Heim für Mutter und Kind.“
 
Die Stadt musste allerdings in den Nachkriegsjahren viele Projekte gleichzeitig angehen und hatte weder die personellen noch die finanziellen Mittel einen Krankenhausneubau zu stemmen. Wilhelm Hörmann setzte jedoch alle Hebel in Bewegung, um sein Herzensprojekt zu verwirklichen und die hohe Sterblichkeit von Neugeborenen und deren Müttern zu verringern. So nutzte er 1920 einen Besuch der nach Chicago ausgewanderten ehemaligen Sindelfingerin Minna Moscherosch-Schmidt, um seine Ideen zu präsentieren. Sie sagte ihm umgehend ihre Unterstützung zu und übergab der Stadt eine Spende von 7.000 Dollar (damals ca. 28.000 Mark). Von diesem Erfolg beflügelt verfasste Wilhelm Hörmann zusammen mit dem Stadtarzt Dr. Gußmann einen Aufruf an alle in die USA ausgewanderten Sindelfinger zur finanziellen Unterstützung des Krankenhausprojekts. Bis Januar 1922 kamen so 800.000 Mark zusammen, der Großteil stammte wiederum von Minna Moscherosch-Schmidt. Auch entschloss man sich, die Einrichtung nicht nur als Wöchnerinnenheim, sondern als vollwertiges Krankenhaus zu verwirklichen.
 
Die Realisierung des Projekts war durch die fortschreitende Inflation ständig gefährdet. Es entwickelte sich eine Art „Hase-und- Igel-Spiel“. Bereits 1919 wurde der „Schwanen“ angekauft, um hier das Wöchnerinnenheim zu bauen. Aufgrund der Wohnungsnot mussten dann jedoch die Wohnungen vermietet werden. Der Plan sah nun vor, im benachbarten Garten neu zu bauen, was mit dem Geld aus den USA auch möglich war. Im März 1922 stimmte der Gemeinderat zu. Im April wurde bereits die Inneneinrichtung gekauft. Im Mai hatten sich die Kosten verdreifacht und der Bau wurde eingestellt. Im Oktober 1922 kam wieder Besuch aus Chicago in Person von Julius Schmidt, dem Ehemann von Minna. Er brachte einen Scheck über 1.000 Dollar im damaligen Wert von 2,5 Millionen Mark. Nun durfte es keine Zeitverzögerung mehr geben.
 
Am 9. September 1923, kurz vor Ausbruch der Hyperinflation, wurde das erste städtische Krankenhaus in Sindelfingen eingeweiht. Es verfügte über 27 Betten, fünf davon in einer Abteilung als Altenheim. Die historischen Bilder zeigen einen durchdachten Bau, der innenarchitektonisch hervorragend gestaltet war. Die Neugeborenen konnten in ihren Bettchen auf den Balkon geschoben werden, um Sonnenlicht und frische Luft zu bekommen. Es gab Betten für Gebärdende und Zimmer für Kranke. Zu Ehren der Stifterin erhielt das Krankenhaus den Beinamen „Wilhelminenheim“. Bereits in der ersten Nacht, kaum dass die letzten Gäste nach der Eröffnung gegangen waren, erfolgte die erste Geburt, bei der ärztliche Betreuung zwingend notwendig war. Das Mädchen erhielt den Namen Else Mina. Die Patenschaft übernahm Minna Moscherosch-Schmidt. Das Krankenhaus war so gefragt, dass bereits kurze Zeit später ein Ausbau erfolgte und die Bettenanzahl auf 40 aufgestockt wurde.
 
Nun werden viele Sindelfingerinnen und Sindelfinger sagen „ja, aber ich bin doch draußen am Calwer Bogen geboren“. Das ist dann die jüngere Generation, die dort das Licht der Welt erblickt hat. Im Januar 1938 wurde die Wöchnerinnenstation aufgrund der Enge im alten Krankenhaus in die ehemalige Villa Wittmann verlegt – und der Name „Wilhelminenheim“ mit.
 
(Text Illja Widmann)