Projekt „Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg“ des Stadtmuseums und Stadtarchivs Sindelfingen

Dezember 2023 – Dezember 1943
Weihnachtsgeschenk des unbekannten Vaters

Das Projekt "Vor 80 Jahren - Sindelfingen im Krieg" stellt monatlich wechselnd ein Thema oder ein Objekt aus der Zeit vor 80 Jahren im Stadtmuseum in den Mittelpunkt.
In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv entsteht auf diese Weise ein Blick in die Vergangenheit, der u.a. die Alltagssituation der Menschen damals in den Blick nimmt.
Die Texte sind auch auf der städtischen Homepage nachzulesen.
 
Die Monatsvitrine zum Thema wird ab Donnerstag, den 21.11. im Stadtmuseum zu sehen sein.
 
Bitte beachten: Das Stadtmuseum ist vom 23. Dezember 2023 bis zum 1. Januar 2024 geschlossen.
                                                                                                              
„Meine früheste Kindheitserinnerung geht in das Kriegsjahr 1943 zurück. Ich war gerade vier Jahre alt geworden. Dass es einen Vater gab, wusste ich nur vom Hörensagen.“ - So erzählt es Gudrun Blank, die in der Sindelfinger Altstadt mit ihrer Schwester aufgewachsen ist. Der Vater war im Alltag der Vierjährigen damals nicht präsent, bis zum Heiligabend 1943.
 
Das Weihnachtsfest erlebten die Menschen in diesem fünften Kriegswinter auch in Sindelfingen in bedrückter Stimmung. Im Oktober ging über dem Kreis Böblingen ein massiver Bombenangriff nieder, der in Sindelfingen und Umgebung für Opfer sorgte. So kam der Krieg immer bedrohlicher näher. Die Familien bemühten sich um eine besondere Gestaltung der Weihnachtsfeier. „Meine Mutter…glaubte an den Erlöser und sie tat alles, um die feierliche Adventsstimmung auch uns Kindern zu vermitteln.“ Die Feier der Familie Blank fand in Stuttgart bei den Großeltern statt, im Wohnzimmer stand ein geschmückter Weihnachtsbaum, der von Kerzen erleuchtet wurde. Unter dem Baum lag ein Paket, das der Vater aus Russland geschickt hatte. Zum Vorschein kamen selbst geschnitzte Möbel für die Puppenstube, von denen ein Tisch und vier Stühle noch erhalten sind. „Der Papa, den gab es also wirklich und er schien sogar sehr nett zu sein.“ Das Weihnachtsfest 1943 wurde zu einem besonderen Erlebnis für Gudrun Blank. Den Vater selbst konnte sie erst viele Jahre später kennenlernen, als er nach mehrjähriger Kriegsgefangenschaft aus Russland zurückkehrte.
 
Wir erfahren aus dieser persönlichen Geschichte verschiedene interessante Aspekte. So zeigt es sich zum einen, dass die Bemühungen um eine funktionierende Feldpost 1943 noch recht erfolgreich waren. Sie galt als wichtige Verbindung zur Familie und sollte so die Unterstützung an der „Heimatfront“ stärken. Zudem spiegelte eine stabile Postverbindung die Kontrolle über die Infrastruktur auch in weit entfernten besetzten Gebieten vor.
 
Das beschriebene Weihnachtsfest in der Familie Blank zeigt zum anderen eine starke Verwurzelung in der christlichen Tradition. Die nationalsozialistische Propaganda bemühte sich von Beginn an, um eine Umdeutung des Festes. So wurde auf angebliche germanische Wurzeln verwiesen und der Weihnachtsbaum wurde zum „Lichterbaum“, der Adventskranz zum „Lichterkranz“, die Adventszeit zur „Vorweihnachtszeit“. Nur die Bezeichnung „Weihnachten“ wurde beibehalten, da sie in der Bevölkerung zu stark verankert war.
 
In der NS-Kreiszeitung wird im Dezember 1943 über Weihnachtsfeiern in Kindergärten und Schulen berichtet. Hier ist klar zu erkennen, wie stark die Kinder schon in jungen Jahren in die Propaganda eingebunden waren. Die Feiern fanden meist in Anwesenheit der für die Kindergärten zuständigen Parteigenossen statt. Die Kinder „zündeten die Kerzen…an zum Gedenken an die Mütter, die Soldaten, die Bombengeschädigten und den Führer.“ Dann verteilte „der Weihnachtsmann und seine Zwerge leckere Sachen“. Bereits Anfang Dezember 1943 fand in Sindelfingen eine Tagung für die „Kindergärtnerinnen des Kreises statt“. Ihnen wurde dargelegt, wie die „Lebenslauffeiern und Jahreslauffeiern“ ganz im Sinne des Nationalsozialismus im Kindergarten begangen werden sollten. Wichtig war zudem die Abgrenzung zur Kirche, indem der private Aspekt der Feier betont wurde: „Wenn aber Weihnachten das Hochfest im Jahreslauf des deutschen Menschen ist, so muß die Vorweihnachtszeit Einstimmung und Bereitmachung zur Feier sein, zur Feier, die mit Lichterbaum und Bescherung nur in die Familie gehört.“
 
(Text Illja Widmann)
 
Foto:
Puppenstubenmöbel, die von Siegfried Blank in Russland als Weihnachtsgeschenk 1943 für die Tochter geschnitzt wurden.

Puppenstubenmöbel, ein Tisch und 4 Stühle
(Erstellt am 20. Dezember 2023)