Projekt „Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg“ des Stadtmuseums und Stadtarchivs Sindelfingen

Das Projekt "Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg" stellt monatlich wechselnd ein Thema oder ein Objekt aus der Zeit vor 80 Jahren im Stadtmuseum in den Mittelpunkt.
In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv entsteht auf diese Weise ein Blick in die Vergangenheit, der u.a. die Alltagssituation der Menschen damals in den Blick nimmt.
Die Texte sind auch auf der städtischen Homepage nachzulesen.
 
Die Vitrine wird ab Donnerstag, den 24.8. im Stadtmuseum zu sehen sein.

August 1943 – August 2023
Schuhsohlen aus Holz und Stroh – Auswirkungen der Kriegswirtschaft

Wie angespannt sich die wirtschaftliche Situation im vierten Kriegsjahr in Deutschland gestaltete, zeigen umfangreiche Sammelaktionen. Die Versorgung der Bevölkerung über Lebensmittelkarten, Kleidermarken und vielem mehr galt bereits kurz vor Beginn des Krieges. Seit Herbst 1941 war es der hiesigen Landwirtschaft nicht mehr möglich, die Versorgung zu gewährleisten.
 
Ein Beispiel für die Mangelwirtschaft findet sich im Bestand des Sindelfinger Stadtmuseums. Dabei handelt es sich um Schuhsohlen aus Stroh und Holz. Im Rahmen der Zuteilungen standen der Bevölkerung für den „Normalbestand“ meist nur zwei Paar Straßenschuhe zu. Diese gab es im Austausch für defekte Schuhe, die nicht mehr tragbar waren. Die Anordnung 101 der Reichsstelle für Lederwirtschaft vom 30. Juni 1941 listet das Sohlenmaterial auf, das ohne Bezugsscheine abgegeben werden darf: Kautschuk und Asbest aus alten Autoreifen oder alten Transportbändern. „Holzsohlen gelten nicht als Sohlenmaterial“. Alternativ wurde Stroh als Sohlenmaterial verwendet.
 
Im Sommer 1943 finden sich vermehrt Aufrufe, die auf den verantwortungsvollen Gebrauch von wiederverwendbaren Materialien hinweisen. So gab es in Sindelfingen im Juni 1943 eine landesweite Sammlung von Textilien, aus denen sich neues Garn spinnen ließ und von Schuhen. Aus dem Hinweisblatt dazu: „Der totale Krieg verlangt gebieterisch den Einsatz dieser ungenutzten Altstoffe als Rohstoffe. Deshalb soll jede Hausfrau sofort alles Überzählige an Spinnstoffen und Schuhwerk aussortieren und abgeben.“
Der NS-Kurier vom 1. März 1943 ermahnt die Bevölkerung ebenfalls in diesem Sinne: „Der totale Krieg erfordert eine einfache Lebenshaltung und eine schlichte Kleidergestaltung.“ Im August 1943 folgte in derselben Zeitung eine Reklame für Schuhe aus Stroh und Sperrholz. Schuhpflegemittel durfte nur noch gegen Rückgabe von leeren Verpackungen abgegeben werden.
 
Am 28. Juli 1943 erhielt die Stadt Sindelfingen „Bezugsscheinkontingente für Schuhe für das III. Vierteljahr 1943“. Es handelte sich um insgesamt 368 Bezugsscheine für Kinder und Erwachsene. Davon mussten jedoch noch Rücklagen gebildet werden, so dass nur ein Teil der Bezugsscheine ausgegeben wurde. In den vorangegangenen Kriegsjahren wurden teils pro Monat doppelt so viel Bezugsscheine ausgegeben. In der Stadt lebten damals ca. 9.000 Personen.
 
Bereits im September 1943 war die Versorgungssituation auch bei Schuhen sehr kritisch. Daher sollten „Fliegergeschädigte“ vorrangig Bezugsscheine erhalten. Auf Anfrage des Landratsamts teilte Sindelfingen mit, dass hier 18 Erwachsene und sechs Kinder zu den Fliegergeschädigten zählten…“Als Notbedarf des Fliegergeschädigten,…wird angesehen:…1 Paar Straßenschuhe…1 Paar Hausschuhe…1 Paar Arbeitsschuhe“ für Berufstätige.
 
Zur Entspannung der wirtschaftlichen Lage wurden durch das NS-Regime auch Tauschgeschäfte gefördert, so durften Waren, die nicht mehr benötigt wurden, an andere Personen abgegeben werden. In Stuttgart gab es ab August 1943 eine Tauschzentrale, die amtlich gebilligt wurde. Zugleich war der Warentausch mit rationierten Waren eigentlich verboten. Die Grenzen des Erlaubten waren hier fließend und wurden von der Bevölkerung notgedrungen ausgereizt – immer wieder kam es deshalb auch zu Anklagen und Verurteilungen.

(Text: Illja Widmann)

Schuhsohlen aus Stroh und Holz, Stadtmuseum Sindelfingen
(Erstellt am 24. August 2023)