Projekt „Vor 80 Jahren – Sindelfingen im Krieg“ des Stadtmuseums und Stadtarchivs Sindelfingen

Januar 2024 – Januar 1944
„Feind hört mit“

Das Projekt "Vor 80 Jahren - Sindelfingen im Krieg" stellt monatlich wechselnd ein Thema oder ein Objekt aus der Zeit vor 80 Jahren im Stadtmuseum in den Mittelpunkt.
In Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv entsteht auf diese Weise ein Blick in die Vergangenheit, der u.a. die Alltagssituation der Menschen damals in den Blick nimmt.
Die Texte sind auch auf der städtischen Homepage nachzulesen.
 
Die Monatsvitrine zum Thema wird ab Dienstag, den 23.01. im Stadtmuseum zu sehen sein.
               
Beim Durchblättern der NS-Kreiszeitung vom Januar 1944 fallen Abbildungen von schemenhaften Schattenmännern mit Hut auf. Das erste Mal ist die Figur am 15. Januar 1944 in Zusammenhang mit einem Artikel über Roosevelt und Stalin abgebildet. Ohne weitere Erklärung aber mit einem Fragezeichen versehen, erscheint die Grafik sehr mysteriös. Der Leserschaft der Zeitung zeigt sich drei Tage später erneut dieselbe Figur, diesmal mit dem Zusatz „Feind hört mit!“
Erst am 25. Januar 1944 wird die neue Propagandaaktion des Deutschen Propaganda-Ateliers erläutert. „Der schwarze Mann: Feind hört mit! Viele tausende schwarze Männer sind seit einiger Zeit an Bretterzäunen, auf Schaufenstern, an Postautos,… an Anschlagtafeln und in den Zeitungen zu sehen. Jedem von uns sind sie aufgefallen. Sie sollen uns auch auffallen! Der Gegner lässt nichts unversucht, um Feststellungen über unsere Rüstung zu machen. Er sammelt Nachrichten, meistens unzählige winzige Nachrichten die an und für sich nichts bedeuten, die aber zusammengetragen lauter Steinchen für das Mosaikbild bilden, das er für seine Zwecke benötigt…Die tausend unscheinbaren und belanglosen Neuigkeiten…die straßauf und straßab weitergegeben werden, sind es, die dem Feind so nützlich sind…Jeder von uns hört täglich Schwätzereien mit an…Solche Redereien geschehen…aus Gedankenlosigkeit und Vertrauensseligkeit, aus Leichtsinn und Dummheit. Das soll und muß jetzt anders werden. Daran erinnern uns die schwarzen Männer…Immer sollen wir daran denken: Der Feind hört mit!... Es ist ein Feind, der uns wie ein Schatten verfolgt…“
Das Deutsche Propaganda-Atelier war Teil des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) unter Joseph Goebbels. Als Reaktion auf den verlorenen Ersten Weltkrieg war dem NS-Regime die Bedeutung der Propaganda als wichtiges militärisches Instrument sehr bewusst und man erkannte hier Nachholbedarf gegenüber den damals siegreichen Nationen. Bereits ab 1933 arbeitete das RMVP mit der Wehrmacht zusammen. 1938 wurden Propagandaeinheiten innerhalb der Wehrmacht gegründet, dabei hatten die NS-Organisationen erheblichen Anteil an der inhaltlichen Ausrichtung der Propagandakompanien.
Die Schattenmann-Kampagne war ein sehr eindrucksvoller Teil der psychologischen Kriegsführung und sollte die Menschen sowohl ermahnen, ihre Pflicht an der „Heimatfront“ zu erfüllen, sie aber auch vor Landesverrat und Spionage warnen. Bereits kritische Äußerungen zum propagierten „Endsieg“ konnten schwer bestraft werden. Auf Landesverrat stand die Todesstrafe. Dass diese auch vollstreckt wurde, erfuhr die Leserschaft ebenso in der NS-Kreiszeitung. Das Schweigen wurde nun zur wichtigsten Pflicht der Deutschen.
 
(Text Illja Widmann)
 
Anlage:
Anzeige in der NS-Kreiszeitung vom 18. Januar 1944, Stadtarchiv Sindelfingen

(Erstellt am 23. Januar 2024)